Medienrhetorik

Clickbait-Headlines rhetorisch analysiert

Wo liegen die Grenzen gut formulierter, klickstarker Überschriften?

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Beim Clickbaiting geht es darum, potenzielle Leserinnen und Leser mit Überschriften, Grafiken oder konkret dafür aufbereiteten Google-Snippets zu „ködern“, um Klicks zu generieren. Wie Clickbaiting im Onlinejournalismus, aber auch abseits davon im allgemeinen SEO Content-Bereich aussehen kann und welche Stilmittel dabei zum Einsatz kommen, haben wir in diesem Artikel für Sie zusammengefasst.

Februar 28, 2022

Written by Carina D. Bukenberger

Rhetorik M.A.

1. Clickbaiting in Überschriften: Eine Erfindung des 21. Jahrhunderts?

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Der Begriff Clickbaiting deutet strenggenommen bereits selbst darauf hin, dass ohne Klick respektive ohne Endgerät, auf dem geklickt werden kann, kein Clickbaiting im eigentlichen Sinne stattgefunden hat. Dennoch vergleichen einige Autor*innen (z.B. Mayer, 2019) heutige Clickbaiting-Strategien mit Schreibtechniken, die bereits um das Jahr 1900 in der frühen Boulevardpresse zu beobachten waren: Insbesondere in Überschriften wurde seit jeher emotionalisiert, simplifiziert und verschleiert, um damit Aufmerksamkeit und Interesse für den eigentlichen Inhalt zu generieren.
Damit haben wir es je nach Definition mit einer Art der Textrhetorik zu tun, die bereits seit vielen Jahrzehnten insbesondere im Journalismus praktiziert wird, aber auch zunehmend in Bereichen stattfindet, die mit Berichterstattung an sich wenig zu tun haben. Denn: Im Internet lässt sich nicht nur mit Klicks auf News im journalistischen Sinne Geld verdienen. Wie Clickbaiting im Onlinejournalismus, aber auch abseits davon im allgemeinen SEO Content-Bereich aussehen kann, worin sich Clickbaiting von rhetorisch guten Überschriften unterscheidet und welche Stilmittel dabei zum Einsatz kommen, haben wir im folgenden Artikel für Sie zusammengefasst.

Was ist Clickbaiting?

Beim Clickbaiting geht es darum, potenzielle Leserinnen und Leser mit Überschriften, Grafiken oder konkret dafür aufbereiteten Google-Snippets zu „ködern“, um Klicks zu generieren. Damit verfolgen Clickbait-Techniken und die Suchmaschinenoptimierung von Inhalten im Allgemeinen dasselbe Ziel. Zahlreiche Studien (z. B. Rony, Hassan & Yousuf, 2017) belegen, dass diese Technik heutzutage quasi von allen großen Verlags- und Medienhäusern regelmäßig verwendet wird, ganz unabhängig von deren Seriosität und Reputation.

Eine exakte Definition von Clickbaiting gestaltet sich dahingehend schwierig, dass sich die Wissenschaft bisher nicht auf einen konkreten „Mindest-Wahrheitsgehalt“ festlegen konnte, der rhetorisch gut ausgearbeitete Überschriften von trügerischen Clickbait-Headlines unterscheidet. Grob können wir jedoch davon ausgehen, dass der negativ konnotierte Begriff Clickbaiting eine journalistische Praxis beschreibt, bei der die Erwartungen, welche durch die Überschrift geweckt wurden, in den meisten Fällen teilweise nicht oder gar nicht erfüllt werden.

2. Wie funktioniert Clickbaiting im Google-Snippet?

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Eine besonders häufige Form des Clickbaitings ist inzwischen das strategische Auslassen von Informationen im Google Snippet.
So beispielsweise bei „InTouch von Wunderweib.de“ und der Schlagzeile: „Gisele Oppermann: ‚Ich muss einmal am Tag gemolken werden'“ vom 14.02.2022.
Auffällig ist hier nicht nur die Formulierung der Headline an sich, sondern insbesondere auch die der Meta-Description: Description-Texte werden im Google News-Snippet nur bis zu einer bestimmten Zeichenzahl angezeigt. Im Fall des Oppermann-Artikels wurde die Description genau so formuliert, dass die eigentliche Information, welche die Irrelevanz des Artikels offenbaren würde, nicht mehr angezeigt wird:

Die komplette Meta-Description lautet: „Damit hätten ihre Fans wohl nicht gerechnet. Jetzt verrät Gisele Oppermann, was sie Stefan Raab nie vergessen wird.

Es ist also ein sehr feiner Grat, der oftmals nur aus wenigen Zeichen besteht, welcher mutig formulierte Überschriften von schlechten Headlines mit bewusster Irreführung trennt. Wir halten uns daher im Folgenden an die Clickbaiting-Definition von F. Mayer (2019), die den „möglicherweise irreführenden Charakter nicht ausschließt, aber ebenso wenig direkt beinhaltet.“

3. Welche rhetorischen Stilmittel kommen bei klickstarken Headlines zum Einsatz?

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Da beim Clickbaiting im klassisch rhetorischen Sinne die Generierung von Aufmerksamkeit im Fokus steht, was seit jeher zu den wichtigsten Zielen rhetorischer Bemühungen aller Art zählt, eignet sich dieser Werkzeugkasten hervorragend, um Clickbaiting-Strategien zu analysieren.

 

Besonders häufige Stilmittel und Gestaltungsformen für klickstarke Headlines, die je nach Anwendungsart nicht zwangsläufig in die Kategorie „Clickbaiting“ fallen müssen, sind:

„Die ultimative Anleitung zur maximalen Körperfettreduktion“

Hyperbeln

Die Hyperbel, die Übertreibung, ist das wohl häufigste Stilmittel in klassischen Clickbait-Artikeln. Dabei werden die Inhalte in der Überschrift mit Hilfe von Superlativen so überspitzt dargestellt, dass häufig der Eindruck falscher Versprechungen entsteht.

„Warum diese Mathematik-Professorin nie ohne ihre Meerschweinchen verreist“

Oxymora und Paradoxa

Widersprüchlichkeiten in Überschriften können – sofern gut dosiert – Interesse wecken und neugierig machen, wie diese scheinbare Unvereinbarkeit im Artikeltext aufgelöst wird. So kann es lohnenswert sein, die markantesten Informationen eines Textes in der Überschrift zu kombinieren.  

„Zum Nachhaltigkeitskonzept für Ihr Unternehmen in drei Minuten“

Simplifizierungen

Beim Googeln sind die meisten Menschen auf der Suche nach der einfachsten und schnellsten Lösung für ihr Problem. Daher ziehen Überschriften, welche versprechen, komplexe Thematiken möglichst verständlich zu behandeln, häufig die meisten Klicks an.

„Günstiger als mieten: Diese Angebote schonen Ihre Urlaubskasse“

Komparative

Menschen lieben Vergleiche. Das machen sich Headlines zu Nutze, die Artikel versprechen, welche uns direkt zeigen, welche Lösung günstiger, hochwertiger, einfacher, moderner, nachhaltiger oder zuverlässiger ist als eine andere.

„Sie ließ ihr Kind im Auto zurück. Was dann passierte, ist unglaublich.“

Brevitas

Brevitas (lat. Kürze) steht in der Rhetorik als Stilqualität bereits seit Jahrhunderten fest. Gemeint ist damit im eigentlichen Sinne, auf weitschweifige und langatmige Erklärungen oder Beschreibungen zu verzichten. Für klickstarke Headlines kann brevitas aber auch bedeuten, die eigentliche Information lediglich kurz anzureißen und damit mehr Interesse für den eigentlich Artikel zu generieren.

„Sie lieben knackiges Obst? Dann wird dieser Trick Ihr Leben verändern“

Rhetorische Fragen

Die rhetorische Frage ist wohl eines der bekanntesten rhetorischen Stilmittel und findet somit natürlich auch bei der strategischen Formulierung von Headlines ihren Platz. Sie bringt in der Regel eine allgemein anerkannte Tatsache (Menschen mögen knackiges Obst) in Form einer Frage in die Überschrift ein und erweckt dadurch den Eindruck, die Zielgruppe direkt anzusprechen.

„Endlich ein Lebenszeichen! Die Familie der Vermissten atmet auf“

Ambiguitäten

Tragischerweise werden insbesondere bei Todes-, Krankheits- oder Vermisstenfällen häufig verschleiernde Techniken angewandt und bewusst Unklarheiten oder Mehrdeutigkeiten in die Headline eingewoben. Diese Technik widerspricht strenggenommen der rhetorischen Stilqualität der perspicuitas (lat. Deutlichkeit) und kann moralische Zweifel an der publizierenden Instanz aufkommen lassen.

„Dschungelcamp 2022: Solo-Pinkler Eric Stehfest erstrullert dem Camp eine harte Strafe“

Provokationen

Mit dieser Headline verwies flipboard.com im Januar 2022 auf einen Artikel von RTL Online. Die Begriffe „Solo-Pinkler“ und „erstrullern“ werden hier strategisch genutzt, um einen eigentlich profanen Vorgang in der Sendung „Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!“ zu sensationalisieren.

„So wechseln Sie Ihre Glühbirnen ganz ohne Werkzeug“

Strohmänner

Das klassische Strohmann-Argument basiert auf der Widerlegung von Tatsachen, die zuvor niemals behauptet wurden. So problematisiert die Strohmann-Headline etwas, das an sich nicht hätte problematisiert werden müssen und bietet dafür schließlich eine Lösung an, die an sich niemand gebraucht hätte.

„Die fünf beliebtesten Topfpflanzen für fensterlose Räume: So bringen Sie Grün ins Dunkle“

Listicles

Bei dieser Methode handelt es sich eher um eine Textform, als um ein Stilmittel: Listicles vereinen die Eigenschaften eines klassischen News- oder Blogartikels mit einer übersichtlichen Liste. In der Headline wird diese Textform durch die Nennung einer Zahl angedeutet. Damit versprechen Sie eine schnelle Übersicht und leicht zu konsumierende Inhalte.

Tipp: Ungerade Zahlen, insbesondere 3 und 5, wirken bei kleineren Aufzählungen besonders anziehend, da bei geraden Zahlen häufig unbewusst davon ausgegangen wird, dass die Liste künstlich angefüllt wurde, um diese „schöne“ Zahl zu erreichen.

4. Wo liegen die Grenzen gut formulierter Überschriften?

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Unser Anspruch im Online-Journalismus, aber auch bei der Erstellung von suchmaschinenoptimierten Inhalten allgemein, sollte es sein, Headlines, Descriptions und Snippets so zu gestalten, dass daraus auch bei wenig Background-Wissen keine Falschinformationen abgeleitet werden können.

Eine rhetorisch gut formulierte Überschrift sollte sich also in diesem Bereich klar von Clickbaiting-Headlines abgrenzen. Dennoch können strategische Verletzungen der virtutes elocutionis (Kriterien der stilistischen Sprachformung), genau genommen von perspicuitas (Deutlichkeit) und claritas (Klarheit), in Einzelfällen von Vorteil sein. Etwa, wenn der emotionale Überraschungsmoment (movere) und eventuell sogar die Freude (delectare) bei der Enthüllung der entscheidenden Informationen den fehlenden oder verringerten Nutzen (prodesse) des Artikels im Allgemeinen wieder aufwiegen.
Entscheidend für die Angemessenheit (aptum) ist dabei selbstredend das im Artikel behandelte Thema sowie möglicherweise sogar die gesellschaftliche Relevanz desselben, weshalb sich insbesondere Journalistinnen und Journalisten immer wieder aufs Neue die Frage stellen sollten, inwiefern irreführende Clickbait-Überschriften tatsächlich noch dem eigenen Berufsethos entsprechen.

 

5. Literaturempfehlungen

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Mayer, F. in Appel, M. (Ed.). (2019). Die Psychologie des Postfaktischen: Über Fake News,„Lügenpresse “, Clickbait & Co. Springer-Verlag.

Biyani, P., Tsioutsiouliklis, K., & Blackmer, J. (2016). 8 Amazing secrets for getting more clicks: Detecting clickbaits in news streams using article informality.
In D. Schuurman & M. Wellman (Hrsg.), Proceedings of the 30th AAAI conference on artifcial intelligence (S. 94–100).

Rony, M. M. U., Hassan, N., & Yousuf, M. (2017). Diving deep into clickbaits: Who use them to what extents in which topics with what efects? In J. Diesner,
E. Ferrari, & G. Xu (Hrsg.), Proceedings of the 2017 IEEE/ACM international conference on advances in social networks analysis and mining 2017 (S. 232–239).

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