Vom Sender zur Marke
Medienrhetorische Strategien deutscher Privatsender erklärt am Beispiel RTL
Mai 2019 | Medienrhetorik
Quellen und Literaturempfehlungen am Ende der Seite.
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Inhalt
„‚Sei doch mal froh, wären wir bei RTL hättest du das mit dem Mund fangen müssen.“
Klaas Heufer-Umlauf
Aus Gründen einer verbesserten Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Dies beinhaltet keinerlei Wertung und schließt sämtliche Geschlechteridentitäten mit ein.
1. Vorwort
Selten klingt das Sender-Empfänger-Modell so stimmig wie in der Medienrhetorik: Endlich findet sich ein tatsächlicher Sender in der Position des Senders und ein Mensch mit einem tatsächlichen Empfänger übernimmt die Rolle desselbigen. Und trotzdem ist die Beziehung zwischen Produzierenden und Konsumierenden im TV-Bereich oft nicht ganz eindeutig: Ein klassisches Tauschverhältnis von Geld gegen Leistung ist lediglich bei Pay-Per-View gegeben, in eingeschränkter Form auch beim Pay-TV. In allen anderen Fällen zahlen die Nutzenden jedoch für das Gesamtangebot, – entweder per Rundfunkbeitrag oder mit ihrer Zeit, die sie entweder damit verbringen Werbung zu schauen oder den Sender zu wechseln.
Auf eben diese gebühren- und werbefinanzierten Programme fällt der größte Teil der Fernsehnutzung in Deutschland. Insgesamt bleibt die Souveränität der Zuschauer als Konsumenten also begrenzt: Ihnen bleibt lediglich die Wahl zwischen vollendeten Tatsachen in Form von TV-Sendern. Daher reüssieren Sendeanstalten, die klare Versprechen liefern und Stellung beziehen. Besonders im stark umkämpften Zuschauermarkt ist ein klares Sender-Image von immenser Bedeutung, um eine hohe Priorität in der Zielgruppe zu erreichen. Inwiefern medienrhetorische Strategien ein erfolgreiches Abschneiden bei den Zuschauerzahlen zur Folge haben können, wird im Folgenden am Beispiel <RTL> erklärt.
2. Die Ausdifferenzierung der TV-Landschaft
Mit der Privatisierung von staatlichen Monopolbehörden wie Bahn und Post, hielt auch das Privatfernsehen 1984 Einzug in Deutschland. Zeitgleich erlangte die Satelliten- und Kabeltechnik Serienreife für den Endverbraucher, wodurch die Problematik der Frequenzknappheit für die terrestrische Ausstrahlung von Rundfunk gelöst wurde. In Anbetracht der Markteröffnung für die private Konkurrenz stellten die öffentlich-rechtlichen Sender ihr Programmangebot um: Höhere Unterhaltungsanteile, Trivialformate und eine Ausdehnung der Gesamt-Sendezeit wurden umgesetzt. Die Anstalten zeigten sich durch die Gründung einiger Satellitenkanäle wie beispielsweise Eins plus, 3sat oder des ZDF-Musikkanals, ambitioniert, Nischen auszufüllen, bevor Privatsender sie besetzen würden. Die öffentlich-rechtlichen Sender sollten in der Gesellschaft an Präsenz gewinnen, weshalb auch einige Dritte Programme überregional verbreitet wurden.
Mit dem Fernsehurteil des Bundesverfassungsgerichts zu Gunsten des Privatfunks war der Startschuss für das duale System aus öffentlich-rechtlichen und kommerziellen Rundfunkanbietern schließlich gegeben und die damalige Bundespost wurde beauftragt, die technischen Voraussetzungen für mehr Kanäle zu schaffen. Die neuen Sender, unter ihnen RTL plus und SAT.1, präsentierten sich zu Beginn eher provisorisch und die Zahl der Zuschauer lag knapp im vierstelligen Bereich. Ende der achtziger Jahre wurden den privaten Sendern die ersten terrestrischen Frequenzen zugesprochen und somit waren RTL und SAT.1 schon bald in Nordrhein-Westfalen und Bayern per Hausantenne zu empfangen. Neue Formate wie etwa kommerzielle Quiz-Shows, Soft-Erotik-Filme und exotische Sport-Übertragungen begeisterten die Zuschauer. Nach und nach konnten private Sender attraktive Ausstrahlungsrechte für sich gewinnen: Live-Übertragungen von Fußball, Tennis, Boxen, Formel 1, sowie Kino- und Spielfilm-Highlights trieben die Quoten in die Höhe.
Deutsche Zuschauer fordern hohe qualitative Standards in Produktion, Programm-Zusammenstellung und Inhalt. RTL gelang es 1993 als erstes kommerzielles Programm die stärkste einzelne Kraft im Markt zu werden. Große Sender begeistern zwar mit Unterhaltung, doch nahm die Ausdifferenzierung der Fernsehlandschaft in Deutschland weiter Fahrt auf: Entgegen aller Erwartungen können sich auch kritische Informations-, Minderheiten- und Zielgruppenkanäle am Markt etablieren (Vgl.: Karstens, 2013). Im Jahr 2000 begann schließlich die Herausbildung eines Duopols im deutschen Privatfernsehen: Die damalige Kirch-Gruppe, heute ProSiebenSAT.1 Media SE, sowie Bertelsmann mit der RTL Group bildeten systematisch Senderfamilien, die unter sich den Löwenanteil des Marktes teilten. Synergie-Effekte und möglichst einheitliches Management versprachen Profit und teilen seither die Sendelandschaft: ProSieben, SAT.1, Kabel 1 und N24 auf der einen Seite, RTL, VOX, RTL II, n-tv und Super RTL auf der anderen (Vgl.: ebd.).
Insgesamt waren die Sender der gesamten Mediengruppe RTL bei der Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen im Jahr 2015 mit einem Marktanteil von 28,4 % die klare Nummer Eins in Deutschland. Damit lagen RTL, VOX, n-tv, RTL NITRO, SUPER RTL und RTL II gemeinsam 1,7 Prozentpunkte vor der Konkurrenz der ProSiebenSat.1 Media SE. Allein RTL erreichte im vergangenen Jahr einen Jahres-Marktanteil von 13%. Als Organisation gehört der Privatsender RTL zur Mediengruppe und Dachmarke RTL Deutschland, die der RTL Group beziehungsweise diese wiederum der Bertelsmann AG angehört.
Während sich öffentlich-rechtliche Sender auf lediglich 20 Minuten Werbung pro Tag vor 20.00 Uhr beschränken müssen, ist es privaten Sendern gestattet, bis zu ein Fünftel jeder Sendestunde mit Werbung zu füllen.
Der aufkeimende Vorwurf, die Gebührenfinanzierung der Anstalten sei nicht gerechtfertigt, führte bei ARD und ZDF zu einer Rückbesinnung auf journalistische Programmformen, Qualität und inhaltliche Vielfalt. Mehr Angebot führt zu mehr Nutzung, jedoch teilt das Publikum seine Fernsehzeit unter immer mehreren Anbietern auf. In den neunziger Jahren konnte das deutsche Privatfernsehen alle Rückstände aufholen und sich auf internationalem Niveau etablieren.
3. Werbung und der Zwang zur Marke
Während gewöhnliche Unternehmen am Markt mit den Argumenten Preis und Qualität überzeugen müssen, scheidet beim Free-TV ersteres als Kriterium aus. Dementsprechend herrscht zwischen den Sendern ein rein auf Qualität und Marketing beruhender Wettbewerb, bei dem die Zuschauerwünsche oberste Priorität haben. Die Sender versuchen ihren Rezipienten zu vermitteln, dass deren Bedürfnisse bei diesem Sender zu einem gegebenen Zeitpunkt am besten befriedigt werden. Zeit spielt dabei eine wichtige Rolle:
Zwar kann ein Kunde zwei Sorten Kekse gleichzeitig kaufen und sie später nacheinander essen. Beim Fernsehen fallen Kauf- und Konsumentscheidung allerdings zusammen. Zusätzlich ist diese Entscheidung leicht revidierbar, was den Qualitätswettbewerb intensiviert.
Auch wo Rezipierende einen Sender in der Programmliste abspeichern, ist für das zukünftige Verhalten als Zuschauer entscheidend und wird durch verschiedene Faktoren beeinflusst: Ist das Image eines Senders überzeugend und der Zuschauer vermutet, dass dort seine individuellen Bedürfnisse Befriedigung erfahren, so wird er ihn im Relevant Set der ersten neun Tasten der Fernbedienung abspeichern und künftig schneller abrufen können.
Dementsprechend beeinflusst das Senderimage die Priorität bei der Suche nach Sendungen. Konkrete Sehentscheidungen werden häufig aufgrund einzelner Sendungen oder gar nur kurzen Programmsequenzen getroffen. Die gezeigten Sendungen prägen wiederum das Image des Senders, wodurch eine Wechselwirkung entsteht (Vgl.: Karstens, 2013).
Jetzt nur ein Spot!
Eine Fernsehmarke muss nicht nur Zuschauer, sondern auch Werbekunden begeistern. Diese Unternehmen achten besonders auf den Imagetransfer zwischen dem Sender und den von ihnen beworbenen Produkten.
Werbekunden beurteilen Sender nach den Kategorien Tausendkontaktpreis, Zuverlässigkeit der Zuschauerzahlen und Imagequalität. Somit gilt es von Seiten des Senders, eine optimale Kombination der drei Kriterien herzustellen, also eine Kombinationsstrategie anzuwenden, oder aber sich mit einer Monostrategie auf eine besonders attraktive Kategorie zu fokussieren. RTL II setzt im Gegensatz zu RTL auf eine auf dem Preis basierende Monostrategie. RTL II ähnelt zwar der großen Schwester RTL, ohne aber durchgängig deren Programmqualität erreichen zu können. Möchte ein Werbekunde Zuschauergruppen umfassend erreichen, so ist eine breit angelegte Kampagne auf RTL, SAT.1 und ProSieben als Werbeträger mit Kombinationsstrategie unerlässlich.
Entsprechend können Sender mit starkem Image einen weitaus höheren Tausendkontaktpreis veranschlagen als unstrukturierte Sendeanstalten ohne klare Zielgruppe.
4. TV-Programm und Produktion
Das Programmschema eines Senders fungiert als direktes Wettbewerbsinstrument und ist gleichzeitig Dreh- und Angelpunkt der jeweiligen Programmphilosophie. Das Schema impliziert, was der Zuschauer vom Sender zu erwarten hat und steuert bei Vollprogrammsendern zugleich, welche Angebote zu welcher Zeit gezeigt werden, um das richtige Zielpublikum zu erreichen. Dabei wird der Tagesverlauf in fünf Zeitzonen unterteilt: In der Daytime, die zwischen 06.00 Uhr morgens und 17.00 Uhr abends angesiedelt ist, wachsen die Zuschauerzahlen stetig. Die Zeit zwischen 17.00 Uhr und 20.00 Uhr wird als Vorabend bezeichnet, oder auch als Access Primetime. Die eigentliche Primetime erstreckt sich schließlich von 20.00 Uhr bis 23.00 Uhr, wobei der Höchstwert der Zuschauerzahlen um ca. 21.00 Uhr erreicht wird. Die Zeit von 23.00 Uhr bis 01.00 Uhr wird als Late Night bezeichnet. In dieser Zeit dünnt die Zuschauerschaft zusehends aus und sinkt anschließend auf minimales Niveau ab (Vgl.: Karstens, 2013).
Daytime, Access- und Primetime bei RTL
In der Daytime zeigt RTL an Werktagen regelmäßig zwei Magazine: Guten Morgen Deutschland von 06.00 Uhr bis 08.30 Uhr und Punkt 12 von 12.00 Uhr bis 14.00 Uhr. Der Vormittag ist gefüllt mit Wiederholungen von Serien und Doku-Soaps des Vortags. Am Nachmittag werden neue Folgen dieser Formate ausgestrahlt. 2016 handelte es sich dabei um die Sendungen Der Blaulicht Report, Verdachtsfälle und Betrugsfälle. Diese gescripteten Doku-Soaps müssen durch Paratexte als fiktional markiert werden, da sie zunächst real wirkende Konflikte stark dramatisiert inszenieren. Emotionalität schafft Identifikationsmöglichkeiten und so empfindet sich der Rezipient bestenfalls selbst als integrierter Kommunikationsteilnehmer. Diese Formate sind Klassiker des RTL-Repertoires und zeichnen sich besonders durch ihre Textorientiertheit aus: Die gezeigten Geschichten sind stark emotional aufgeladen und sollen Intimität erzeugen, wobei Sachaspekte sekundär sind. Hickethier bezeichnet das Fernsehen sogar als die zentrale Emotionssteuerungsmaschine der Gesellschaft (Hickethier, 2007). Die flussförmige Aneinanderreihung dieser Programmeinheiten bildet den senderinternen Flow und verleitet geneigtes Publikum dazu, weder ab- noch umzuschalten.
Die Access Primetime gestaltet RTL neben den Magazinen mit Daily Soaps: Unter Uns und Gute Zeiten, schlechte Zeiten werden bereits seit mehr als 20 Jahren auf RTL ausgestrahlt und gehören in diesem Genre zu den unangefochtenen Quotenhighlights. Seit 2006 gehört auch Alles was zählt zu den hauseigenen Seifenopern, welche wie ihre Vorgänger von UFA Serial Drama für RTL produziert wird. Mit Hilfe dieser Eigenproduktionen positioniert sich RTL als „deutscher“ Sender, der die Rezipienten mit „einheimischen“ Inhalten begeistert. Diese Heimatverbundenheit wird auch am aktuellen Werbetrenner im März 2016 deutlich, der mit dem Slogan „Ei Love Ostern“ deutsche Sprache und englischer Nonchalance vereint. Von 18.00 Uhr bis 18.45 Uhr folgen mit Explosiv und Exclusiv zwei weitere regelmäßig ausgestrahlte Magazine. 18.45 Uhr bis 19.05 Uhr wird die Nachrichtensendung RTL Aktuell gezeigt, deren Beiträge im Nachtjournal, 00.00 Uhr bis 00.30 Uhr, erneut Verwendung finden. Dabei fällt auf, dass zwischen den Magazinen und Nachrichtensendungen mit tagesaktuellen Themen jeweils exakt sechs Stunden liegen: 06.00 Uhr, 12.00 Uhr, 18.00 Uhr und 24.00 Uhr. Auf diese Weise entwirft RTL ein nachvollziehbares Programmschema, das dem Rezipienten die Orientierung erleichtert und ihm erlaubt, seinen persönlichen Tagesablauf diesem Raster entsprechend zu organisieren.
Zur Primetime zeigt RTL Shows wie Deutschland sucht den Superstar, Wer wird Millionär? oder Let’s Dance. Kommerzielle Vollprogrammsender wie RTL konzentrieren sich bei der Programmplanung auf die Zuschauererwartungen, die in der Primetime klar zum Unterhaltungsprogramm tendieren. Einmal gewonnene Zuschauer, sollen mit ähnlichen aufeinander folgenden Formaten für möglichst lange Zeiträume am Umschalten gehindert werden. Da sich der Vollprogrammsender nicht so eindeutig positionieren kann wie seine Spartenkonkurrenten, kommt es allerdings unweigerlich zu Streuverlusten (Vgl. Förster, 2011).
Abbildung 1: Programmprofil RTL 2009 (Basis: Gesamtprogramm 1.440 Minuten pro Tag; Untersuchungszeitraum: 1.1.-31.12.2009); Quelle: IFEM Institut für empirische Medienforschung, Köln.
Aus der vorliegenden Abbildung wird ersichtlich, dass ein Großteil der Sendezeit auf nonfiktionale Unterhaltung fällt, wobei Hybridformate wie Doku-Soaps und Real-Life-TV zu den üblichen Repräsentanten des Factual Entertainments hinzugezählt werden. Der nächst größte Anteil fällt auf fiktionale Unterhaltung, welche Filme und Serien beinhaltet.
Speziell sendereigene Produktionen wie Unter Uns und Gute Zeiten, Schlechte Zeiten, bieten den Rezipienten großes Identifikationspotential, da Akteure aller Altersklassen auftreten, die in Alltagssituationen gezeigt werden. Auf diese Weise kann emotionale Bindung entstehen. Als drittgrößte Instanz zeigen sich im Programmprofil 2009 die informationsbasierten Formate. Insgesamt stellen also die Programmsparten nonfiktionale Unterhaltung, Fiktion und Information die drei Säulen des redaktionellen Programms von RTL dar, womit bewiesen ist, dass RTL sein Markenversprechen von Unterhaltung, Information und emotionaler Nähe konsequent umsetzt.
Warum Gewalt am Nachmittag?
Die Thematisierung von Gewalt und Kriminalität im Nachmittagsprogramm hat sich bei RTL bereits bewährt: Die pseudo-dokumentarischen Gerichtsshows Das Strafgericht (2002-2008), Das Familiengericht (2002-2007) und Das Jugendgericht (2001-2007) gelten als Vorläufer der heutigen Doku-Soaps, welche über die Arbeit der Berufsgruppen Feuerwehr, Polizei und Sanitäter berichten.
Der Sender ist als Oratorinstanz erfolgreich, wenn das tua-res-agitur-Prinzip greift, also die Rezipienten fälschlicherweise annehmen, dass die Formate ihre Normen und Werte, ihr Leben und Misslingen behandeln.
Allerdings ist ebenfalls von Erfolg zu sprechen, wenn den Rezipienten durchaus bewusst ist, dass über Normverletzungen und Wertediskussionen lediglich ihre Aufmerksamkeit gewonnen werden soll. Dementsprechend gelingt es RTL mit diesem Angebot verschiedener Rezeptionsmodi mehrere Bildungsschichten anzusprechen und die Zielgruppe entsprechend weit zu stecken.
5. Von Stripping und Stacking
Eine beliebte Strategie bei der Zusammenstellung eines Programmschemas ist die horizontale Programmierung, auch Stripping genannt. Angelehnt an die meist gleichförmig strukturierten Tagesabläufe der Zuschauer, zeigt der strippende Sender meist wochentags zu einer gleichbleibenden Uhrzeit in der Daytime Episoden desselben Formats. Auf diese Weise wird das TV-Programm meist unbemerkt zum Strukturgeber:
Pünktlich zu Unter Uns kommt der Zuschauer von der Arbeit, wenn Gute Zeiten, schlechte Zeiten läuft, müssen die Kinder ins Bett und zur Primetime wird auch mal ein Bier aufgemacht.
Dabei ist das Programm auf die unterschiedlichen Rezeptionsmodi abgestimmt: In der Daytime werden vermehrt Sendungen ohne durchgehende Handlung gezeigt, was den Einstieg erleichtern soll. Speziell tagsüber werden Programme häufig nur aufgrund der vermittelten Stimmung und ihrer Stilelemente eingeschaltet, anstatt aufgrund ihrer Handlung. Auch bei RTL wird gestrippt, wie am zuvor aufgeführten Schema zu erkennen ist, was dem Rezipienten Regelmäßigkeit und Verlässlichkeit vermittelt.
Hinzu kommt das vertikale Programmieren, auch Stacking genannt. Hierbei werden mehrere Programme des gleichen Genres und ähnlicher Zielgruppenstruktur nacheinander gezeigt.
Auch diese Taktik setzt auf Gewöhnungseffekte und die Trägheit des Publikums.
Der Nachmittag bei RTL vereint beide Methoden: Ab 14.00 Uhr folgen die Sendungen Der Blaulicht Report, Verdachtsfälle und Betrugsfälle aufeinander. Auf diese Weise gelingt es dem Sender im Laufe des Nachmittags immer mehr Zuschauer „einzusammeln“, die am Ende einer Sendung kaum das Bedürfnis verspüren den Kanal zu wechseln, da das nachfolgende Programm für sie ähnlich attraktiv ist, wie das eben beendete. Gleichzeitig strippt RTL diese Stacking-Abfolge an Werktagen, was ein einheitliches und übersichtliches Programmschema zur Folge hat.
6. Die Corporate Identity von <RTL>
Mit dem Sendestart 1984 stellte RTL sein Programm unter das Motto „erfrischend anders“, was sich bewusst im Auftreten der Sender-Protagonisten wiederspiegeln sollte und so direkt zu einer Abgrenzung zur öffentlich-rechtlichen Konkurrenz führte. Doch der Sender lebt längst nicht mehr von Provokation allein, sondern hat sich auf die emotionale Nähe zum Publikum spezialisiert. Mitte 2015 startete RTL die aktuelle Dachmarkenkampagne und erweiterte den Senderclaim „Mein RTL.“ (2005 bis heute) um den Slogan von 2003: „Willkommen zu Hause.“. Gesprochen wird der Text von der gewohnt sonoren Männerstimme Fabian Körners, begleitet von der Corporate Melody, bestehend aus der Tonabfolge H, E, D#, E. Das Wort-Bild-Logo von RTL ist in den Hausfarben Rot, Gelb und Blau gehalten, die durch ihre erfrischende und jugendliche Wirkung die Senderpositionierung unterstützen. Im Logo ist das Wort „Mein“ in Handschrift abgebildet, die in der Grafik die Rolle des Rezipienten wiederspiegelt und somit die emotionale Nähe zu RTL ausdrückt. Bildsprache und Farbgebung vermitteln einen hohen Unterhaltungswert.
Die Corporate Identity einer Sendeanstalt soll durch einen stimmigen Gesamtauftritt beim Publikum Präferenzen schaffen. Via Programmdesign soll eine zielgruppenspezifische Imagebildung stattfinden, sodass Rezipienten automatisch bestimmte Inhalte, Designs und Programmstile mit einzelnen Sendern verbinden können. Der Imagebegriff spielt dabei eine bedeutende Rolle und wird von Böcker wie folgt definiert: „Das Image eines Objektes ist also nicht mit der Einstellung zu diesem Objekt gleichzusetzen, sondern gewissermaßen dessen kognitiver Teil.“ (Böcker, 1992) Dementgegen spricht Merten bei einem Image von einem „konsonante[n] Schema kognitiver und emotiver Struktur, das sich der Mensch von einem Objekt […] erzeugt.“ (Merten, 1992) Folglich dienen Images Personen im Allgemeinen dazu, die Komplexität ihrer Umwelt zu reduzieren. Keppler spricht dabei von einer kognitiven Entlastung durch Stereotypen, Frames und Darstellungsmustern (Keppler, 1996).
Logo-Design
Sicherlich direkteste Form der Schaffung einer unverwechselbaren Senderidentität ist das Corporate Design. Dabei soll das Selbstverständnis eines Unternehmens visuell zum Ausdruck gebracht werden. In einem kumulativen Prozess werden Bekanntheitsgrad, Firmenimage und Firmenstil einprägsam gemacht. Bestandteile eines Corporate Designs sind neben der reinen Marke auch Schrift, Typografie und Farbe, sowie die einheitliche Gestaltung jeglicher Merchandising-Produkte. Das Logo sollte möglichst zeitlos sein und dabei die „[…] einfachste und komprimierteste bildhafte Darstellung der unternehmerischen Idee repräsentier[en]“ (Pflaum, 1989). Das Markenzeichen soll der Senderkennung dienen, Individualität zum Ausdruck bringen, modifizierbar sein und idealerweise eine medienspezifische Anmutung besitzen (Vgl. Pflaum, 1996). In der Regel verwenden deutsche Sender Logos, die sich aus Bild- und Buchstabenmarken zusammensetzen. Die Buchstabenmarken stellen dabei meist Abkürzungen des eigentlichen Sendernamens dar, wie im Falle von ARD und ZDF. Auch das RTL-Logo entstand nach diesem Prinzip: Der Sender war ursprünglich Ableger des luxemburgischen Privatsenders Radio Télé Lëtzebuerg. Die Logos werden durch permanente Präsentation, meist in der linken oberen Bildschirmecke, zur möglichst schnellen Identifikation des Senders eingesetzt und können als eigenständiges grafisches Element verwendet werden.
Das Logo ist ebenfalls Gegenstand der gesetzlich vorgeschriebenen Werbetrenner, welche dem Framing dienen und somit den Zuschauer auf die in der Werbepause gezeigte Sonderkommunikation hinweisen. RTL gestaltet die Werbetrenner meist bewusst schlicht, um den Rezipienten kein Signal zum Umschalten zu geben, da besonderer Wert auf den programminternen Flow gelegt wird. Für das komplette Corporate Design von RTL ist die in Los Angeles ansässige Agentur Novocom verantwortlich. Weiteres Element des Designs ist bei sendereigenen Studio-Produktionen die gesamte Gestaltung von Dekoration und Architektur der Aufnahmeräumlichkeiten. Während ARD und ZDF durch nüchterne Möblierung und die Farben blau und hellgrün Seriosität und Sachlichkeit vermitteln, arbeitet RTL mit warmen Farben und speziell im morgendlichen Magazin „Guten Morgen Deutschland“ mit einer bunt-chaotischen, authentischen Studioeinrichtung, die Flexibilität, Zuschauernähe und Trendbewusstsein zum Ausdruck bringt.
Idealerweise verdichten sich am Ende die senderbezogene Kommunikation, das senderspezifische Design, sowie das Verhalten der Mitarbeiter zu einem stimmigen Gesamtbild. Bei konsequenter und langfristiger Umsetzung einer solchen Strategie kann es gelingen einen TV-Sender deutlich und trennscharf von seinen Konkurrenten abzugrenzen und den Rezipienten zugleich ein ansprechendes und nachvollziehbares Sender-Profil zu vermitteln.
... und "sixx auf die 6"
Ein vollständiges Corporate Identity-Konzept setzt sich aus Corporate Behaviour, Corporate Design und Corporate Communications zusammen. Die wichtigsten Ziele sind dabei das Formen eines stimmigen Unternehmensselbstbildes, die Profilierung und die Imagebildung des Unternehmens am Markt, sowie die Identifikation der Mitarbeiter mit ihrem Unternehmen.
Das Image wird sowohl von On-Air- als auch von Off-Air-Kommunikation beeinflusst: Die Güte und Abfolge einzelner Sendungen ist dabei ebenso wichtig, wie die persönliche Kommunikation der Sender-Angehörigen durch andere Medien. Jedoch reicht es meist nicht aus, als Zuschauer einzelne Formate eines Senders zu rezipieren, um das inhaltliche Profil und Senderimage zu begreifen. Daher kommt der Übermittlung der jeweiligen Corporate Identity durch programmbegleitende Kommunikation, beispielsweise via Internet, immer größere Bedeutung zu. Primäres Ziel ist dabei die Aufnahme des Senders in das individuelle Kanalrepertoire der Zuschauer. Mit dieser Programmierung erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass ein Sender ohne weitere Vorinformierung des Zuschauers eingeschaltet wird, immens. Dies versuchte der Spartensender sixx beispielsweise mit der Sommerkampagne „sixx auf die 6“ im Jahr 2012.
Unter Corporate Behaviour fallen alle Verhaltensweisen der Unternehmensmitglieder im Innen- und Außenverhältnis. On-Air schlägt sich dies beispielsweise in der Auswahl der Moderatoren (Alter, Aussehen, Geschlecht), in der verwendeten Sprache, sowie nonverbalem Auftreten nieder. Die handelnden Personen sind dabei integraler Bestandteil der Dienstleistung, die ein Sender erbringt und sind dementsprechend im selbigen Kontext zu beurteilen. Auch off-Air fällt jegliches Verhalten von Sender-Mitarbeitern unter das Corporate Behaviour, von der Telefonistin bis zum Reporter.
Unter den Bereich der Corporate Communications fallen alle kommunikativen Maßnahmen, die der Systase dienlich sind, also langfristig die öffentliche Meinung zum agierenden Unternehmen beeinflussen sollen. Besonderer Bedeutung kommt diesem Marketingbereich auf stark umkämpften Märkten mit eventuell erklärungsbedürftigen Produkten zu. Sind die angebotenen Produkte zusätzlich einander sehr ähnlich, wird für den Konsumenten vorrangig das Ansehen der Firma zum Kaufargument, nicht allein die objektive Produktqualität. Bei Fernsehsendern subsumiert die Corporate Communication senderspezifische PR, Bildschirmdesign, Imagekampagnen und Event-Marketing-Aktionen.
7. Marketingstrategien
Fernsehanstalten erfahren in ihrer Rolle als buchstäblicher Sender einige Widerstände: Zum Beispiel können die Zusehenden mittels Fernbedienung in Sekunden reagieren, sollte ihnen das gezeigte Programm nicht gefallen. In kürzester Zeit können sie außerdem kostenfrei einen Überblick über das gesamte Angebot der Konkurrenz erlangen. Aufgrund stagnierender Sehdauern und Bevölkerungszahlen hat auch der Markt sein Wachstum eingestellt und wird von großen Direktkunden sowie Media-Agenturen dominiert. Die Sender stehen also einer immer kleiner werdenden Gruppe von Rezipierenden gegenüber, die über ein erhebliches Maß an Verhandlungsmacht verfügen.
Eine Möglichkeit zur erleichterten Marktdurchdringung ist die Anwendung von Nischenstrategien: Sendungen können präzise auf das Zielpublikum abgestimmt werden und durch diese Spezialisierung alle Kräfte bündeln. Dabei bleiben allerdings sowohl der zu erzielende Anteil am Gesamtmarkt, sowie die Erlössumme klein. Lediglich wenn die Kosten entsprechend gering gehalten werden, kann der Sender größere Umsatzgewinne erreichen. Konnte ein Sender eine Nische erfolgreich besetzen, so gilt es für etwaige Nachahmer möglichst hohe Markteintrittsbarrieren aufzubauen. Dies gelingt beispielsweise mittels Exklusivverträgen mit Moderatoren, Lizenzinhabern und Programmproduzenten (Vgl. Karstens, 2013). Eine so extreme Spezialisierung kann im schlechtesten Falle zu Flexibilitätsverlust führen.
Eine auf den Gesamtmarkt ausgerichtete Strategie setzt den Sender einer deutlich härteren Konkurrenzsituation aus: Er muss sich sowohl an anderen Sendern messen, die ebenfalls den Gesamtmarkt bedienen, als auch an Nischensendern, die sich auf gewisse Bereiche spezialisiert haben. Eine Gesamtmarktstrategie erfordert meist größere Ressourcen als eine Nischenstrategie: Verschiedene Marktbereiche benötigen verschiedene Experten und der finanzielle Aufwand ist höher. Um also mit einer Gesamtmarktstrategie in die Gewinnzone vorzudringen, sind vergleichsweise hohe Marktanteile erforderlich. Vorteil allerdings ist die Risikostreuung: Probleme in einem Marktsegment bedrohen nicht zwangsläufig das gesamte Unternehmen, denn dieses wird durch Querfinanzierung erhalten. Dabei bleibt das Unternehmensversprechen allerdings weiterhin unscharf und es müssen andere Imageinformationen in der Zuschauerwerbung genutzt werden.
Eine Möglichkeit der Markenerweiterung sind Personenmarken, welche zugleich als „Bestandteil des medialen Angebots, Veredelungskomponente und Werbeträger“ (Bode, 2010) auftreten können. Die bekanntesten Gesichter des Privatsenders RTL sind Günther Jauch (Wer wird Millionär, Die 2 – Gottschalk & Jauch gegen alle) und Dieter Bohlen (Deutschland sucht den Superstar, Das Supertalent). Aber auch jüngere Gesichter wie Daniel Hartwich werden von RTL bewusst zur Sympathiebildung und Bindungsevokation eingesetzt: Seit 2008 moderiert Hartwich unter anderen die Formate Das Supertalent, Let’s Dance, Ich bin ein Star – Holt mich hier raus!, Stepping Out und Deutschland sucht den Superstar. Durch diese Omnipräsenz wird der Moderator für den Zuschauer als Person erfahrbar und zur Verkörperung des Senders RTL. Auch in Werbetrennern werden sendereigene Moderatoren als Testimonials gezeigt.
Bei der Erweiterung der eigenen Marke schrecken die Verantwortlichen bekanntermaßen vor nichts zurück: Vom Regenschirm bis zur Allnet-Flat ist alles möglich.
Erweiterung auf einer anderen Ebene betrieben die Gesellschafter von RTL, als sie unter RTL als Dachmarke weitere Sender gründeten. Super RTL und RTL II gelten bis heute als die erfolgreichsten Ableger von RTL. Mit dem Synonym für gute Unterhaltung im Namen gelang ihnen eine gute Positionierung in kürzester Zeit. Augenscheinlich konnten die neuen Sender das Versprechen der Dachmarke RTL halten und die Images harmonieren. Zusätzlich können durch das Dachmarkenkonzept Sendemöglichkeiten für ungenutzte Programmlizenzen entstehen. Einziges Risiko dieser Strategie ist, dass sich Imageschäden auf verwandte Marken übertragen können, sollte ein Sender ein wesentliches Markenversprechen brechen.
8. Abgrenzungsstrategien
8.1 Abgrenzung durch Programminhalte
Zu Beginn standen RTL und SAT.1 als die beiden ersten privaten Pioniere allein der breiten öffentlich-rechtlichen Macht entgegen und veränderten die Rahmenbedingungen des Marktes entscheidend: Sie verfolgen Vollprogrammstrategien und besetzten schon bald alle wesentlichen Nischen. Die programmliche Profilierung erfolgte dabei über einzelne Formate: RTL erlangte durch die Erotik-Spielshow Tutti Frutti das Image des Unterhaltungssenders und konnte sich gleichzeitig durch die gesellschaftliche Diskussion über Freizügigkeit im Fernsehen Aufmerksamkeit verschaffen. Mittlerweile konnte RTL den Erotik-Bereich wieder vollständig verlassen. Besonders günstig gestaltete sich für RTL damals die Marktsituation, da SAT.1 als bislang einziger privater Konkurrent auftrat und diverse thematische Marktnischen existierten, die von den öffentlich-rechtlichen Sendern nicht geschlossen werden konnten oder wollten. Erst im Laufe der Zeit wurden die privaten Sender auf ganzer Linie konkurrenzfähig: Es gelang die Etablierung einer Nachrichtensendung, sowie eines entsprechenden Korrespondentennetzes.
Im Rückblick wird klar: Je jünger ein Sender, desto klarer die Nischenorientierung. Grund für diese Entwicklung, ist der nicht von der Hand zuweisende Vorteil der „Permanenz der Bedürfnisbefriedigung“ (Karstens, 2013): Ein Zuschauer mit dem Bedürfnis, die aktuellen Nachrichten zu verfolgen, wird eher einen Nachrichten-Nischensender einschalten, als im Vollprogramm auf eine Nachrichtensendung warten. Der Nischensender muss also ausschließlich die Information transportieren, dass auf diesem Sender ein bestimmtes inhaltliches Bedürfnis befriedigt wird, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ein Vollprogrammsender dagegen muss über diverse Sendungen informieren, ihre Sendezeiten publik machen und sich gleichzeitig von den Konkurrenten abgrenzen.
Nischensender können zusätzlich bei der Produktion neuer Formate von bereits ausgestrahlten Programmen profitieren, da sie sich inhaltlich nah sein werden. In den Unternehmen existiert so bereits ein hohes Maß an Fachexpertise zur entsprechenden Nische, von der neue Projekte profitieren können. Nischenunternehmen können also einmal angeschaffte, spezielle Produktionsmittel für andere Produktionen anschließend intensiv nutzen, da sie zahlreiche ähnliche Formate produzieren: Erfüllt ein Nachrichten-Nischensender einmal alle nötigen technischen und personellen Anforderungen, so kostet die Produktion zusätzlicher Nachrichten-Formate kaum mehr.
Somit sinkt der Preis pro Sendung, je mehr Einheiten erstellt werden, zumindest bis zur Kapazitätsgrenze.
8.2 Abgrenzung durch Zielgruppen
Meist gewählte soziodemographische Zielgruppe unter Privatsendern ist die der 14- bis 49-Jährigen, da diese für Werbekunden besonders interessant ist. Je breiter die Zielgruppe angelegt ist, desto schwieriger gestaltet sich die Markenbildung. ProSieben möchte beispielsweise diese Zielgruppe ansprechen und setzt dabei inhaltlich auf fiktionales Programm, Comedy-Shows und Magazine. Somit wird bei ProSieben eine breite Nischenstrategie angewendet. Entsprechend höhere Marktanteile haben RTL und SAT.1, die sich aufgrund der frühen Gründung und Etablierung der Sender mit klaren Gesamtmarktstrategien noch immer durchsetzen können und kaum neue Konkurrenten auf diesem Feld zulassen.
KIKA, Nick und Super RTL konkurrieren um eine besonders stark umkämpfte Zielgruppe: Kinder. Als problematisch zeigt sich dabei, dass diese soziodemographische Zielgruppe nur zu bestimmten Tageszeiten gut zu erreichen ist. Ab 20.15 Uhr spielen Kinder beim Sender-Auswahl-Verhalten nur noch eine unbedeutende Rolle. Der Sender muss nun entweder das Senderimage für diesen Zeitraum verlassen oder durch konsequent gezeigtes Zielgruppenprogramm ab spätestens 22.00 Uhr minimale Zuschauerzahlen akzeptieren. Sender mit Gesamtmarktstrategien hingegen können je nach Tageszeit entsprechendes Zielgruppenprogramm zeigen, ohne dass der Wechsel das Image schädigt. Wie die Sender auf dem Kinderfernsehmarkt auf diese Problematik reagieren, hängt von finanziellen Rahmenbedingungen ab. So ist Super RTL im Gegensatz zu KIKA auf Werbeeinnahmen angewiesen und ist daher ab 20.15 Uhr gezwungen, Programme für Erwachsene zu zeigen.
8.3 Abgrenzung durch Zuschauernähe
Diese Art der Abgrenzung findet meist nur in einzelnen Sendungen beziehungsweise Sendestrecken Anwendung, so beispielsweise in der Sendung Explosiv bei RTL: Das Magazin wird an Wochentagen um 18.00 Uhr für 30 Minuten ausgestrahlt und beinhaltet pro Sendung 5-6 verschiedene Beiträge unter anderem über extreme menschliche Schicksale, die Faszination und Mitgefühl hervorrufen sollen. Lebenspraktische Themen erzeugen faszinierende Nähe und werden meist in ratgeberähnlichen Programmen behandelt. Sie beinhalten potentiell nützliche Informationen für den Zuschauer und stellen ihm eine Verbesserung seiner Lebensqualität in Aussicht. Gleichzeitig vermitteln die exotischen Berichte eine gewisse angenehme Distanz, die den Zuschauern bewusst macht, dass sie selbst nicht betroffen sind und vermutlich nie betroffen sein werden.
Im Gegensatz dazu arbeiten viele Spiel- und Quizshows mit der Faszination der Nähe. Diese entsteht durch die Möglichkeit, Sendungsinhalte simultan mitzuerleben. Dieses Wirkungsprinzip wird bei Wer wird Millionär? erfolgreich angewendet, da Zuschauer aktiv mit raten und sich zuhause mit den Kandidaten in Schnelligkeit und Wissen messen können. Besonders bei den zu Beginn einfacheren Fragen erlebt der Zuschauer zuhause Erfolge, wenn der Kandidat in der Aufregung ins Stocken gerät. Eine Quizshow die mit Distanz arbeitet ist beispielsweise Gefragt – Gejagt, die im Ersten ausgestrahlt wird. Hier arbeitet man mit Zuschauerdistanz, da Kandidaten gegen einen sogenannten Jäger antreten, der Quizprofi ist und wegen seines großen Allgemeinwissens ausgewählt wurde. Er steht außer Konkurrenz und der Zuschauer zuhause bewundert lediglich sein Wissen in der Sicherheit, sich nicht mit ihm messen zu müssen, im Gegensatz zu den Kandidaten im Studio.
9. Zuschauerkommunikation und -Interaktion
Hauptbestandteil der Zuschauerkommunikation ist die reguläre Programminformation. Mit einem Vorlauf von rund sechs Wochen wird das Programm von Fernsehzeitschriften, ob online oder als Print, angekündigt. Ein weiterer Faktor ist der proaktive Part der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit eines Senders. Dabei gilt es dem Sender Präsenz in den redaktionellen Artikeln und Sendungen von Printmedien, Hörfunk und anderen Fernsehunternehmen zu verschaffen. Dabei werden Besonderheiten im Programm eines Senders speziell hervorgehoben und gemeinsam mit den Redaktionen kultiviert. Als Beispiel ist hier die beinahe symbiotische Beziehung der BILD-Zeitung und dem Sender RTL zu nennen. Da beide eine ähnliche Zielgruppe ansprechen, liefern RTL-Formate wie Deutschland sucht den Superstar, Der Bachelor oder Ich bin ein Star – holt mich hier raus! immer wieder Stoff für Titelschlagzeilen des Boulevardblatts. Im Gegenzug schüren die Artikel in der BILD-Zeitung das allgemeine Interesse an den RTL-Formaten.
Ein weiterer Schwerpunkt in der Zuschauerkommunikation ist die Eigenwerbung. Auf diese Weise kann das TV-Unternehmen auf direktem Wege seine Botschaften ungefiltert an die Rezipienten richten. Generelle Image-Werbung definiert die grundsätzliche programmliche Ausrichtung und die emotionalen Faktoren der angestrebten Wahrnehmung des Senders. Eine generell eher günstige Methode der Rezipientenansprache sind Giveaways, also kleine Alltagsgegenstände wie Kugelschreiber und Feuerzeuge, die das Senderlogo in private Haushalte bringen. Wesentlich aufwendiger dagegen ist eine Werbemaßnahme auf Messen oder anderen öffentlichen Großveranstaltungen wie beispielsweise der Internationalen Funkausstellung.
Letzter Punkt der Rezipientenkommunikation ist die Zuschauerredaktion, die sich mit Anregungen, Kritik und Anfragen der Zuschauer beschäftigt. Bis vor einigen Jahren war das Fernsehen ein an Feedback eher armes Medium, was nun mit Aufkommen des Internets einige Veränderungen erfuhr: Diverse Formate weisen aktiv auf ihre Facebook- oder Twitter-Seiten hin, oder locken gar mit bisher nicht gezeigtem Videomaterial, sodass beinahe von crossmedialem Storytelling gesprochen werden kann. Der Zuschauer wird eingeladen, sich online mit anderen Rezipienten über das Gesehene zu unterhalten. Eine bis heute beliebte Form der Zuschauerinteraktion ist das Gewinnspiel: Es ermöglicht die aktive Teilnahme des Publikums am Programm. Die Gewinne erhält der Sender meist direkt vom Hersteller, ohne dass dabei tatsächlich Geld fließt. Zusätzliches Geld kann der Sender durch eine 0190er Telefonnummer verdienen, bei der die Verlosungsteilnehmer anrufen müssen.
Die Zuschauer sind Teilhaber öffentlicher Kommunikation und streben daher nicht nur danach zu rezipieren, sondern sich selbst zu artikulieren und ihre kulturellen, politischen und moralischen Vorstellungen zum Ausdruck zu bringen (Vgl. Hasebrink, 1995). Eigens diesem Zweck widmete RTL Television die RTL INSIDE APP, die für die Betriebssysteme Android und iOS ausgelegt ist. Diese App erlaubt Rezipienten interaktiv an Sendungsdiskussionen teilzunehmen und stellt Videos von Sender-Highlights zur Verfügung, sowie Videobeiträge, die ausschließlich per App zugänglich sind. Der sogenannte INSIDE-Feed bietet Informationen zu allen RTL-Sendungen und ermöglicht die Teilnahme an Umfragen und Gewinnspielen. Via Check-In kann der Rezipient mit wenigen Klicks auf diversen sozialen Plattformen teilen, welche RTL-Sendung er sich gerade ansieht. Welches große Potential diese kostenfreie App als Werbemittel in sich trägt, ist offensichtlich. Mit einer Dateigröße von 7,00 MB in der Android-Version räumt der Nutzer dem Sender RTL einen relativ großen Platz auf seiner Speicherkarte ein und wird bei entsprechender Icon-Platzierung täglich mit dem Markenlogo auf dem Handydisplay konfrontiert. Auf diese Weise gelingt es dem Unternehmen RTL weiter in den Alltag und das Privatleben seiner Rezipienten vorzudringen, selbst wenn der Fernseher ausgeschaltet ist.
10. Der Online-Auftritt von RTL
Der Online-Auftritt von RTL setzt sich aus verschiedenen Seiten zusammen: www.RTL.de, www.RTLnext.de, www.RTLnow.de, www.RTLspiele.de, www.RTLtickets.de und www.RTLwirhelfenkindern.de. Die Domains scheinen zunächst selbsterklärend: Auf RTL.de findet der Rezipient eine Übersicht aller Angebote und wird auf der Startseite über aktuelle Spielfilme, sowie „Topstories & Highlights“ informiert. Hier finden Videos zu den aktuellen Show Platz, mit Teasern wie „Der Bachelor: Danielas Herz brennt – All ihre Wünsche sind zerstört“. Die stark bildhafte Sprache wirkt zunächst zwar künstlich emotional, auf den geneigten Rezipienten allerdings ansprechend und durchaus aufschlussreich, wenn er sich über den gestrigen Ausgang der Sendung informieren möchte.
Auf RTLnext.de können Zusatzinformationen und Clips zum gezeigten Programm erworben werden. Der Slogan der Seite lautet „RTL Next – Darüber wird geredet“. Ähnlich wie bei RTL.de locken auf der Startseite Bilder und Teaser die einladen, sich intensiver mit dem Sender, den Sendeinhalten und sendereigenen Prominenten zu beschäftigen, wie etwa im Fall von RTL-Moderatorin Angela Finger-Erben, deren Schwangerschaft auf RTLnext.de als Schlagzeile inszeniert wird: „Die werdende Mama zeigt ihren Babybauch! […] Angela Finger-Erben ist aus dem deutschen Fernsehen nicht mehr wegzudenken. Bei den RTL-Sendungen ‚Guten Morgen Deutschland‘ und ‚Ich bin ein Star, holt mich hier raus‘ ist die 36-Jährige eine feste Größe. Doch nun wird die schöne Moderatorin wohl etwas kürzer treten[…].“ Auf RTLnow.de können verpasste Sendungen bis zu 30 Tage nach TV-Ausstrahlung kostenlos abgerufen werden. Das Archiv ist nur mit einem kostenpflichtigen „Plus“-Account zugänglich.
Mit welchem Bildungsniveau der Sender bei der Zielgruppe rechnet, wird anhand der Tatsache deutlich, dass die Seite auch unter der Domain RTLnau.de erreichbar ist.
RTL versorgt sein Publikum mit Entertainment jeder Art: Auf RTLspiele.de können kleinere Browser-Games heruntergeladen werden, auf RTLtickets.de stehen Tickets zu Live-Shows, Konzerten, Musicals und Sport-Events zum Verkauf.
Mit der Kampagne RTL – Wir helfen Kindern gelingt es dem Sender sich mit Hilfe sendereigener Prominenz wie Wolfram Kons (Guten Morgen Deutschland) und Susan Sideropoulos (Gute Zeiten, schlechte Zeiten) als sozial engagierte Institution zu positionieren: „Das RTL-Kinderhaus ARCHE in Berlin wird eingeweiht: RTL – Wir helfen Kindern“-Patin Susan Sideropoulos und Wolfram M. Kons freuen sich: Dank vieler Spender können sie […] das RTL-Kinderhaus ARCHE in Berlin-Friedrichshain einweihen.“ (http://wirhelfenkindern.rtl.de/cms/index.html)
10. Fazit
Um auf die eingangs vorgestellten Komponenten des Selbstbildes einer Markenidentität von Meffert, Burmann und Koers zurückzukommen, lässt sich abschließend Folgendes festhalten: RTL ist als Produkt nicht nur im Bereich TV bekannt, sondern nutzt auch andere Ausgabemedien wie PC oder Smartphone, um Rezipienten in jeder Lebenslage zu erreichen. Der Sender ist für seine Eigenproduktionen bekannt und die visuelle Gestaltung in Form moderner und frisch wirkender Designs wird konsequent umgesetzt. Auf diese Weise spricht RTL als Person alle Alters-, Bildungs-, und Einkommensschichten an, vor allem innerhalb der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen.
Die tatsächlich immense Reichweite des Senders ist nicht zuletzt auf die Kernpunkte der Senderidentität zurückzuführen, die allgemein auch mit deutschen Werten assoziiert werden: Qualität, Sicherheit und Innovation. Das Symbol RTL ist besonders von der Markenhistorie geprägt: Die Geschichte des Senders begann 1984, wobei RTL im Laufe der Jahrzehnte das Vertrauen der Zuschauer gewinnen konnte. Das Logo erfuhr kaum Veränderungen, im Gegensatz zum Slogan, dessen Entwicklung von „Erfrischend anders“ hin zu „Mein RTL. Willkommen Zuhause.“, die emotionale Annäherung an die Rezipienten zum Ausdruck bringt und nach wie vor die Markenpositionierung unterstützt. Es wird also deutlich, dass RTL nicht grundlos der erfolgreichste Privatsender Deutschlands ist: Das Unternehmen zeigt sich in einem crossmedialen Konzept flexibel, greift technologische Neuerungen auf und ist mittlerweile sowohl im Internet, als auch auf mobilen Endgeräten präsent. Die breite Zielgruppenansprache meistert der Privatsender mittels eines breitgefächerten Programms, das in beinahe allen Genres erfolgreiche Formate anbietet.
Einen Sender wie RTL als klare Marke zu führen, bedeutet eine deutliche Erleichterung in der Zuschauerkommunikation, da die gesamte Öffentlichkeitsarbeit auf den Markenkern hin gebündelt werden kann. Für sämtliche Sendungen können ähnliche Basisaussagen an die Zielgruppe kommuniziert werden, wobei stets dasselbe Kommunikationskonzept und dieselben Werbemedien genutzt werden können. Zusätzlich erhöht die Marke die Glaubwürdigkeit des Senders durch ein individuelles Versprechen, das für Zuschauer und Werbekunden gleichsam ansprechend ist. Die Markenidentität und die damit einhergehende Philosophie kommen im Programm, sowie auch in der Kommunikation des Senders RTL klar zum Ausdruck. Programmpolitik und Kommunikationsmaßnahmen sind nach einem einheitlichen Schema aufgebaut und bekräftigen noch einmal, dass der Sender RTL hält, was er verspricht: Unterhaltung, Information und emotionale Nähe.
Quellen und Literaturempfehlungen
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Bode, Phillipp: Markenmanagement in Medienunternehmen. Wiesbaden, 2010.
Böcker, Franz: Marketing. 4. Auflage. Stuttgart, 1991.
Burmann, Christoph; Koers, Martin; Meffert, Heribert: Markenmanagement. Grundfragen der identitätsorientierten Markenführung. Wiesbaden, 2002.
Förster, Kati [Hg.]: Strategien erfolgreicher TV-Marken. Eine internationale Analyse. Wiesbaden, 2011.
Hasebrink, Uwe: Deutschland. In: Fernsehen und Zuschauerinteressen. Untersuchungen zur Verantwortlichkeit europäischer Fernsehsender. Baden-Baden, 1995.
Hickethier, Knut: Die kulturelle Bedeutung medialer Emotionserzeugung. In: Bartsch, Anne (Hg.) et al.: Audiovisuelle Emotionen. Emotionsdarstellung und Emotionsvermittlung durch audiovisuelle Medienangebote. Köln, 2007.
Karstens, Eric; Schütte, Jörg: Praxishandbuch Fernsehen. Wie TV-Sender arbeiten. 3. Auflage. Wiesbaden, 2013.
Keppler, Angela: Interaktion ohne reales Gegenüber. In: Peter Vorderer (Hg.): Fernsehen als „Beziehungskiste“. Wiesbaden, 1996.
Merten, Klaus: Begriff und Funktion von Public Relations, in: prmagazin, 11. Remagen-Rolandseck, 1992.
Pflaum, Dieter; Pieper, Wolfgang [Hg.]: Lexikon der Public Relations. Landsberg/Lech, 1989.
Strecker, Holger: Eigenkommunikation deutscher TV-Anbieter. Werbe- und PR-Strategien von Fernsehsendern. Bochum, 1996.
Online-Quellen:
Medienmagazin DWDL. Lückerath, Thomas [CEO]: http://www.dwdl.de/nachrichten/29344/rtl_startet_untertitelung_von_primetimefilmen/. Zuletzt: 23.03.16.
RTL television GmbH. Fenge, Ralf: https://kommunikation.rtl.de/de/pub/unternehmen/i192_1.cfm. Zuletzt: 14.03.2016.
RTL interactive GmbH. Schröder, Marc [CEO]: http://rtlnext.rtl.de/cms/moderatorin-angela-finger-erben-ist-zum-ersten-mal-schwanger-2788529.html?c=d0ba&i=18. Zuletzt: 17.03.2016.
RTL interactive GmbH. Schröder, Marc [CEO]: http://wirhelfenkindern.rtl.de/cms/index.html. Zuletzt: 17.03.2016
Statista GmbH. Kröger, Tim [CEO]: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/36090/umfrage/fernsehsender-marktanteil-von-rtl-seit-1990/. Zuletzt: 14.03.2016.
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