Allgemeine Rhetorik

Beziehungsaufbau durch Self Disclosure

Smartphone in der Hand mit geöffneter App vor einem Laptop
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Self Disclosure ist meist unbewusst Bestandteil einer jeden zwischenmenschlichen Kommunikation. In Kombination mit strategischem Image Management lässt sich durch Selbstenthüllung gezielt Nähe evozieren. Wie das genau funktioniert und worauf dieses Prinzip des Bindungsaufbaus basiert, klären wir im folgenden Artikel.

September 10, 2018

Written by Carina D. Bukenberger

Rhetorik M.A.

1. Was ist Self Disclosure?

Das Phänomen Self Disclosure (dt. Selbstenthüllung) ist der Kern einer jeden zwischenmenschlichen Kommunikation. Die freiwillige Enthüllung basiert auf der Tatsache, dass Menschen gerne über ihre eigenen Gefühle, Erfahrungen, Eigenschaften und Probleme sprechen. Dieses innere Bedürfnis persönliche Informationen auszuspeichern ist ein wichtiger Beweggrund, der uns täglich dazu veranlasst, Kommunikation zu betreiben. Dabei neigen Menschen in ganz unterschiedlicher Weise dazu, ihr eigenes sprachliches Verhalten zu kontrollieren bzw. Informationen vor der Preisgabe zu filtern. „Das Herz auf der Zunge tragen“ zwar generell positiv konnotiert, jedoch gerade in der digitalen Öffentlichkeit nicht immer telosdienlich bzw. zielführend.

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Aus Gründen einer verbesserten Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Dies beinhaltet keinerlei Wertung und schließt sämtliche Geschlechteridentitäten mit ein.

2. Wie funktioniert Self Disclosure in der digitalen Welt?

In der Rhetorik bezeichnen wir das Internet und die damit verbundene digitale Öffentlichkeit als dimissives Setting, also ein Setting mit vergrößertem kommunikativem Abstand. In dieser digitalen Dimissivik kann Self Disclosure beispielsweise im Dialog per Chat stattfinden. Dabei greifen ganz ähnliche Mechanismen wie im analogen Face-to-Face-Gespräch (z.B. der dyadische Effekt). Die moderne Selbstenthüllung findet jedoch immer häufiger außerhalb von starren, auf eine bestimmte Personenanzahl begrenzten Kommunikationsräumen statt:

Man enthüllt sich in Selbstbeschreibungen, Fotos und Postings auf Social Media Plattformen und genießt den Luxus dieses vergrößerten kommunikativen Abstands. Dank ihm haben wir theoretisch die volle Kontrolle darüber, was wir preisgeben, – ohne jeden situativen Interaktionsdruck, der uns im direkten Gespräch manchmal aus der Bahn wirft. Gleichzeitig können wir uns selbst vor direkter (negativer) Rückmeldung aus unserem direkten oder indirekten Umfeld schützen, indem wir den PC oder das mobile Endgerät für einige Zeit bei Seite legen. Langfristig können die Folgen einer unangebrachten digitalen Selbstenthüllung jedoch kaum ignoriert werden, weshalb wir auch in privaten Storys oder Posts die verbalen Hüllen nicht allzu leichtfertig fallen lassen sollten.

Self Disclosure in der Beziehungsgestaltung

Auch in der digitalen Welt, wie beispielsweise in Chats oder Mailings, entsteht durch Kommunikation soziale Wirklichkeit: Denn eine Kommunikationssituation wird zwar zu großen Teilen durch die Art und Weise der Kommunikation definiert, aber auch durch den Inhalt.

Wenn wir also in einem Gespräch intime Informationen preisgeben und niemand interveniert, so erklärt sich jeder Rezipierende implizit damit einverstanden, dass die weitere Kommunikation einen intimen Charakter annehmen wird.

Self Disclosure zur verbesserten Selbstwahrnehmung

Der Aufbau einer persönlichen oder geschäftlichen Social Media-Präsenz zwingt zur Selbstreflektion. Wir befassen uns gedanklich mit den Vorzügen unserer Person oder des Unternehmens, dessen Online Präsenz wir ausgestalten. Dabei erlangen wir bestenfalls mehr Klarheit über die eigene Person bzw. das Unternehmen und stabilisieren das Selbstkonzept. Zudem entsteht die Möglichkeit zum sozialen Vergleich mit anderen Nutzern, die ähnliche Informationen preisgeben.

3. Self Disclosure und Image Management

Insbesondere bei der öffentlichen Selbstenthüllung via Social Media empfiehlt es sich, die preisgegebenen Informationen strategisch zu filtern. Denn jeder einzelne Post – egal ob Twitter, Facebook, Snapchat oder Instagram – formt das Bild, welches andere von uns oder unserem Unternehmen bekommen. Dabei unterscheiden wir in assertive und defensive Strategien des Image Managements:

Assertives Imagemanagement

Durch aktives und offensives Gesprächsverhalten wird entweder eine kurzfristige Rolle eingenommen, um in einer konkreten Situation die eigenen Interessen durchzusetzen oder aber eine langfristige Reputation angestrebt, indem man sich beispielsweise über verschiedene digitale Kommunikationssituationen hinweg einen Expertenstatus aufbaut, nachhaltig Vertrauen und Bindung erzeugt. Letztendlich basiert damit jede beliebige Content Marketing Strategie im Kern auf assertivem Imagemanagement via Self Disclosure.

Defensives Imagemanagement

Durch das defensive Enthüllen persönlicher Informationen kann in einer konkreten Situation verhindert werden, dass Personen oder Unternehmen Ansehen einbüßen, beispielsweise indem sie sich als nicht verantwortlich inszenieren. Auch kann durch langfristiges Verfolgen einer defensiven Strategie der generelle Eindruck erweckt werden, dass Personen oder Unternehmen nicht in vollem Umfang für ihr Verhalten in bestimmten Bereichen verantwortlich seien. Dies birgt für das eigene Image jedoch wiederum andere Gefahren, die in der Gesamtstrategie berücksichtigt werden müssen.

4. Forschungsbereich: Self Disclosure

In einer 1985 durchgeführten Studie stellten Schlenker/Leary fest, dass Menschen eine realistische und konkrete Selbstdarstellung positiver wahrnehmen, als extrem bescheidenes oder übertrieben positives Image Management. Allein bei extrem hoher Leistungsfähigkeit werde ein gewisses Understatement als sympathisch wahrgenommen. Jedoch betonen Schlenker/Leary, dass Akteure und Beobachter immer über einen gemeinsamen kulturellen Kontext verfügen müssen, um stimmige Urteile über den Wert und die Funktionen einer Selbstdarstellung abgeben zu können, was in der heutigen Zeit der globalen Kommunikation deutlich erschwert wird.

Frindte stellte in seinen Untersuchungen 1998 bereits fest, dass Internet-Neulinge mit relativ wenig Erfahrung im Bereich der computervermittelten Kommunikation eher dazu neigen, übertriebenes Image Management in Form von Selbstenthüllung zu betreiben, als Nutzer, die bereits gut mit dem „neuen“ Medium vertraut sind. Auch heute noch ist dieses Phänomen z.B. auf Facebook zu beobachten: Digital Natives scheinen diese „neue“ Möglichkeit zur Selbstpräsentation bereits verwunden zu haben, während sich die reifere Generation noch an Zeiten erinnert, in denen Momente der öffentlichen Selbstenthüllung selten und kostbar waren.

5. Verbale Intimität erzeugen: Self Disclosure und der dyadische Effekt

Aus rhetorischer Sicht ergänzt sich das Phänomen Self Disclosure wunderbar mit dem Prinzip der Reziprozität (Wechselseitigkeit) bzw. dem dyadischen Effekt. Dieses Prinzip beruht wiederum auf dem Bedürfnis der Menschen ein gewisses Gleichgewicht in der zwischenmenschlichen Kommunikation und persönlichen Beziehungen generell aufrecht zu erhalten: Wird uns in einer neuen Beziehung – sei diese freundschaftlicher, romantischer oder  beruflicher Natur – eine persönliche Information von unserem Gegenüber offenbart, so wächst in uns das Bedürfnis durch die Offenbarung einer ähnlich persönlichen Information im Gespräch das Gleichgewicht wiederherzustellen. Gesprächstaktiken wie diese werden häufig von bezahlten Chat-Animateuren oder Chat-Moderatoren auf Online Flirt-Portalen genutzt, um innerhalb kürzester Zeit eine starke zwischenmenschliche Bindung aufzubauen, ohne jemals direkten Kontakt zum Rezipienten zu haben. Bei diesem Geschäftsmodell zahlt der Kunde für jede einzelne gesendete Nachricht, weshalb es für den Animateur besonders wichtig ist, durch vordergründiges Entgegenkommen auch vom Gesprächspartner ein höheres Investment einfordern zu können.

 

6. Praxis-Tipps für den Beziehungsaufbau durch Self Disclosure

Wir mögen Menschen, die uns ähnlich sind. Deshalb kann es nie schaden, das Gegenüber auf Gemeinsamkeiten aufmerksam zu machen: Wir enthüllen gezielt Gefühle, Erfahrungen, Eigenschaften und Probleme bei denen wir davon ausgehen, dass unser Gegenüber Anknüpfungspunkte finden wird. Auch indem wir gemeinsame Bekanntschaften, persönliche Interessen oder den Kontext der Gesprächssituation thematisieren, können rasch besprechenswerte Gemeinsamkeiten gefunden werden. Im nächsten Schritt gilt es den Small Talk in Deep Talk umzuwandeln. Dies kann durch ganz banale Taktiken gelingen, z.B. durch Fragen. Experten raten z.B. fünf Mal mit „Warum?“ zu antworten, was für Anfänger als gute Richtlinie gelten kann.

Um dauerhaft im Gedächtnis zu bleiben, kann beim Erstkontakt zusätzlich ein metaphorischer Anker in die Zukunft geworfen werden. Wir wissen bereits: Menschliche Beziehungen wachsen durch Gegenseitigkeit. So kann es sich insbesondere bei neuen Kontakten lohnen, mit irgendeiner Form der Unterstützung, einem Ratschlag oder einer Hilfestellung in Vorleistung zu gehen. Schließlich besagt die Regel der Reziprozität, dass es sich stets zu bemühen gilt, anderen das zurückzugeben, was gegeben wurde. Die Regel beinhaltet drei Verpflichtungen: Die des Gebens, die des Annehmens und die der Gegenleistung. Dabei fällt auf: Die Verpflichtung des Annehmens schränkt die Entscheidungsfreiheit des Beschenkten ungemein ein. Er kann nicht länger selbst entscheiden, wem er etwas schulden möchte und wem nicht. Diese unausgesprochene Verpflichtung zur Gegenseitigkeit existiert in sämtlichen menschlichen Gesellschaften der Welt und wird damit zu einem bedeutenden Instrument der interpersonalen Beeinflussung.

7. Fazit

Das Phänomen Self Disclosure ist häufig unbewusst Bestandteil einer jeden zwischenmenschlichen Kommunikation. In Kombination mit dem dyadischen Effekt lässt sich durch Selbstenthüllung gezielt Nähe evozieren. Offenbaren wir im Gespräch zum Beispiel intime Details, so wächst in unserem Gegenüber das Bedürfnis gleichzuziehen.

Das bedeutet auf den drei rhetorischen Ebenen nach Aristoteles folgende Handlungsempfehlungen für die erfolgreiche Gesprächsführung:

1. Logos: Die Aussagen und Erzählungen des Orators sind logisch und bieten lebensweltliche Anknüpfungspunkte für den Rezipierenden. Auch implizite Argumente sind stichhaltig und werden bestenfalls durch starre Designatoren oder Beweise gestützt.

2. Ethos: Der Orator präsentiert sich glaubwürdig, integer und authentisch.

3. Pathos: Der Orator zeigt sich emotional mit dem Thema verbunden, um auch im Gegenüber Gefühle zu wecken. Gemeinsam erlebte Emotionen stärken die Beziehungsebene. 

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Quellen und Literaturempfehlungen

Aristoteles: Rhetorik. Übers. und hg. von Gernot Krapinger. Stuttgart, 2007.

Bühler, Karl: Sprachtheorie. Die Darstellungsfunktion der Sprache. Jena, 1934.

Festinger, Leon: A theory of social comparison processes. Human Relations 7/1954, S.117-140.

Frindte, Wolfgang: Einführung in die Kommunikationspsychologie. Weinheim, 2001.

Schmidt-Atzert, Lothar: Selbstenthüllung auf Gegenseitigkeit. In: Spitznagel, A.; Schmidt-Atzert, L.: Sprechen und Schweigen. Bern, 1986.

Schmitt, Reinhold: Inszenieren: Struktur und Funktion eines gesprächsrhetorischen Verfahrens, in: Gesprächsforschung – Online Zeitschrift zur verbalen Interaktion, 4, 2003. S. 186-250.

Schlenker, B.; Leary, M.: Social Anxiety and Communication about the Self. In: Journal of Experimental Social Psychology, Vol. 22, Issue 2, 1986. S.122-135.

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