Gender-Rhetorik
Gendersprache in den öffentlich-rechtlichen Medien:
So gendern ARD, ZDF, BR und NDR (2021)
Gendersprache in den öffentlich-rechtlichen Medien:
So gendern ARD, ZDF, BR und NDR (2021)
Inhalt
1. „Nun sag, wie hast du’s mit der Gendersprache?“
2. Der Status quo: So gendern ARD und ZDF 2021
3. Gendersprache bei PULS Reportage/BR: Ein junges Format macht den Anfang
4. Das Problem mit der fehlenden Konsistenz am Beispiel Zapp/NDR: Ist halb gegendert wirklich besser als nicht gegendert?
5. Fazit: Was können wir von den Vorreiter:innen der Gendersprache lernen?
"Der Gendersprech ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk angekommen!", titelte die Bild-Zeitung Anfang 2021. Das wollten wir uns natürlich genauer anschauen und haben einige Sendeanstalten des ÖRR inhaltlich sowie in ihrer Präsentation in der Öffentlichkeit auf Gendersprache hin abgeklopft. Was andere Unternehmen von diesen ersten Versuchen eines gendersensiblen Rebrandings lernen können, erfahren Sie im folgenden Artikel.
April 16, 2021
Written by Carina D. Bukenberger
1. „Nun sag, wie hast du’s mit der Gendersprache?“
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Das ist gewissermaßen die Gretchenfrage unseres Jahrhunderts – für Medienschaffende genauso wie für Unternehmen, Marken und überhaupt alle Institutionen und Instanzen, die in irgendeiner Form öffentlich kommunizieren. Schließlich gendert seit Ende 2020 sogar der Online-Duden, was den Druck auf öffentliche Kommunikator:innen nochmals deutlich erhöht hat. Am 10.01.2021 warnte Sebastian Geisler dann bereits in der Bild-Zeitung: „Der Gendersprech ist beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk angekommen. Die meisten Anstalten ermutigen ihre Redaktionen zum „Gendern“, einige haben gar entsprechende Leitfäden in Gebrauch.“ (Quelle | Zuletzt: 15.04.2021)
Grund genug, dass wir uns nun – einige Monate später – einen Überblick über den aktuellen Status quo verschaffen und die Unternehmenskommunikation von öffentlich-rechtlichen Sendern analysieren.
Wir wollen also herausfinden: Welche Leitfäden werden den Redaktionen von den Landesrundfunkanstalten aktuell an die Hand gegeben? Welches Gesamtbild ergibt sich aus der Umsetzung in den einzelnen Formaten mit der Webpräsenz der Unternehmen?
Und natürlich auch: Welche Fehler können passieren, wenn sich Unternehmen erstmals an Gendersprache heranwagen und was kann die Wirtschaft vielleicht noch von den Vorreiter:innen der Gendersprache im öffentlich-rechtlichen Rundfunk lernen?
2. Der Status quo: So gendern ARD und ZDF 2021
Sowohl die ARD als auch das ZDF nutzen bereits seit 2019/2020 in Moderationstexten vereinzelt gendersensible Formulierungen.
Ein schönes Beispiel für eine (gesprochensprachlich) besonders elegante Lösung liefern seit einiger Zeit immer wieder die Texte der Tagesschau, welche nicht nur komplett geschlechtsneutral formuliert sind, sondern auch beinahe gänzlich ohne Doppelnennungen und gesprochene Genderzeichen (als glottalen Plosiv) auskommen, was gewissermaßen sogar als die Königsklasse des Genderns gilt.
Damit beweisen die Autor:innen der ARD: Es ist kein Hexenwerk, passende alternative Formulierungen für maskuline Formen zu finden, insbesondere dann nicht, wenn wir im Bereich der geschriebenen Sprache zur Not sogar auf Sonderzeichen zurückgreifen können. Genau das tut übrigens auch die ARD auf der Unternehmenswebsite: Dort finden sich ebenfalls alternative Formulierungen („Nutzungszahlen“ und „Visits“ anstatt z.B. „Nutzerzahlen“ und „Besucher“), aber auch Doppelnennungen („Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“), sowie Gender-Sonderzeichen („Auslandskorrespondenten/innen“). (Quelle | Zuletzt: 15.04.2021)
Side Note zu „Korrespondenten/innen“:
Diese Art zu Gendern ist besonders spannend! Um der (streng genommen durchaus vorhandenen) grammatikalischen Fehlerhaftigkeit von „Korrespondent/innen“ vorzubeugen, wird die weibliche Endung hier an die Pluralform „Korrespondenten“ angehängt, anstatt wie üblich an die Singularform. Denn: Streng genommen würde „Korrespondent/innen“ suggerieren, dass es sich entweder um einen Korrespondent (im Singular) handelt oder aber um mehrere Korrespondentinnen (im Plural).
Auf der Startseite der Onlinepräsenz des ZDF sieht es auf den ersten Blick ganz ähnlich aus: Viele genderneutrale Formulierungen, „Newcomer*innen“ und sogar „Pat*innen“ finden sich in den Beschreibungstexten zu den aktuellen Formaten. Klicken wir jedoch nur ein paar Seiten weiter in Richtung Unternehmen/Geschäftsleitung, wimmelt es plötzlich nur so von „Direktoren“, „Journalisten“, „Partnern“, „Stellvertretern“ und „Intendanten“. (Quelle | Zuletzt: 15.04.2021)
Interessanterweise veröffentlichte das ZDF dazu im hauseigenen Presseportal unlängst eine Stellungnahme:
„Redaktionen und Moderator*innen entscheiden selbst, welche Form der Ansprache für das jeweilige Format am besten geeignet ist. […] Vorgaben und Regelungen gibt es nicht. Das Thema wird individuell gehandhabt – stets passend zum jeweiligen Thema. […] Der Genderstern wird deshalb, wo es passt, hinzugefügt.“ (Quelle | Zuletzt: 15.04.2021)
Gendersprache ist beim ZDF also im Bereich der Unterhaltung angekommen, wurde jedoch für den Bereich Unternehmen/Geschäftsleitung offenbar als „nicht zum Thema passend“ eingestuft. Na gut.
Fun Fact:
Auf unsere Nachfrage reagierte die Pressestelle des ZDF nicht nur gezielt provokant,* sondern auch mit kopierten Textpassagen von genau der Seite, zu der wir unsere Fragen gestellt hatten. Daher nennen wir diese Seite korrekterweise auch hierfür als Quelle (Zuletzt: 15.04.2021).
*= Kleiner Scherz. Dieser Tippfehler ist aber auch ein dummer Zufall…
3. Gendersprache bei PULS Reportage/BR: Ein Jugendformat macht den Anfang
PULS Reportage ist ein Format des Bayrischen Rundfunks, das mit den Moderator:innen Ariane Alter, Nadine Hadad und Sebastian Meinberg nach eigenen Angaben vorrangig die Zielgruppe der 18 bis 29-Jährigen ansprechen möchte (Quelle | Zuletzt: 16.04.2021). Das Team von PULS Reportage hat sich bereits in mehreren Beiträgen mit den Themen Diversity und Gendersprache auseinandergesetzt und die neue sprachliche Geschlechtergerechtigkeit offenbar für gut befunden.
So wurden bei PULS aus „Anfängern“ innerhalb von rund einem Jahr „Anfänger*innen“:
2020: „Pilze sammeln für Anfänger*innen“
Upload-Datum: 07.10.2020 | Quelle | Zuletzt: 15.04.2021
Und das nicht nur im Thumbnail: Auch in den Moderationstexten nutzen Alter, Hadad und Meinberg mittlerweile gesprochene Gendergaps, um sämtliche Geschlechter in ihren Beiträgen sichtbar zu machen. Doch auf dieser Errungenschaft ruht sich das Format nicht aus, sondern liefert weitere Berichte (oder sollten wir es Rechtfertigungen nennen?) dazu. So beispielsweise in einem Beitrag vom 10.02.2021:
„Frauen und Menschen, die nicht ganz so ins klassische Genderspektrum passen, denken wir offensichtlich nur dann verlässlich mit, wenn wir sie explizit erwähnen. Deshalb haben wir uns bei PULS ganz bewusst fürs Gendern entschieden, weil wir Rollenklischees aufbrechen wollen, weil wir Frauen und diverse Menschen sichtbar machen wollen.
Bei PULS gendern wir mit Sternchen. Das Sternchen steht für Menschen, die weder ausschließlich männlich noch weiblich sind. Beim Lesen spricht man dafür eine Mini-Pause, also „Chirurg-in“. Das ist am Anfang schon ungewohnt, aber je öfter wir so sprechen, desto weniger fällt es uns auf.“
(Quelle | Zuletzt: 15.04.2021)
Solche Erklärungen können durchaus hilfreich sein, um bei den entsprechenden Teilen der Zielgruppe ein besseres Verständnis für die sprachliche Veränderung zu erwirken. Auch die in diesem Beitrag genutzte Taktik, konkrete Gegenargumente aus der Community dezidiert aufzugreifen und aufzulösen, halten wir für eine gute Lösung. Jedoch ist bei einem über zehnminütigen Video mit „Gendern“ im Titel die Wahrscheinlichkeit auch eher hoch, dass genau dieser anvisierte Teil der Zielgruppe das Video nicht ansehen wird.
4. Das Problem mit der fehlenden Konsistenz am Beispiel Zapp/NDR: Ist halb gegendert besser als nicht gegendert?
Viele Produktionsteams der öffentlich-rechtlichen Medien zeigten sich in der Vergangenheit bereits bemüht, sich einer fairen und wertschätzenden Sprache für alle Geschlechter anzunähern. Da wir uns jedoch alle erst am Anfang dieser sprachlichen Entwicklung befinden, ist es klar, dass wir zum jetzigen Zeitpunkt hin und wieder an Grenzen stoßen. So passieren einige Fehler sicher noch aus Unwissenheit, einige aus Unbekümmertheit und einige vermutlich lediglich aufgrund fehlender Absprachen innerhalb eines Produktionsteams.
Diesen Anschein macht für uns zum Beispiel dieser YouTube-Upload des NDR Medienmagazins Zapp:
Upload-Datum: 14.04.2021 | Quelle | Zuletzt: 15.04.2021
Auch das Team von Zapp befasste sich bereits in zahlreichen Beiträgen mit dem Thema „Gender-Gaga“ (sic!), weshalb diese Mischung umso mehr erstaunt: Im Videotitel auf Youtube („Journalist*innen) sowie im Beschreibungstext („Journalist*innen“, „Medienschaffende“) wird gendersensible Sprache verwendet. Dagegen finden sich sowohl im Video-Thumbnail („Reporter“, „Feind“) und in der Liste mit Timecodes („Journalisten“) alleinstehende männliche Formen.
5. Fazit: Was können wir von den Vorreiter:innen der Gendersprache lernen?
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Wir haben festgestellt, dass bereits einige öffentlich-rechtliche Sender und Formate an einer gendergerechten Optimierung ihrer Unternehmenskommunikation arbeiten – teilweise sehr erfolgreich, teilweise noch mit der ein oder anderen Startschwierigkeit.
Jedoch sollten wir – so unsere Meinung – mediale Instanzen, die sich für die Etablierung geschlechtergerechter Sprache einsetzen, an ihrem Mut und ihrer Fortschrittlichkeit messen und nicht etwa die Fehler zählen, die eben auf dem Weg zu einer ganzheitlich fairen Markenkommunikation hin und wieder passieren.
Dennoch zeigen uns genau diese Fehler, worauf Unternehmen achten sollten, wenn sie sich vielleicht schon bald selbst an das Projekt „Gendersprache“ heranwagen:
- Die Webtexte der Startseite auf gendergerechte Sprache zu optimieren, ist ein guter Anfang. Jedoch ist sprachliche Konsistenz in der Unternehmenskommunikation das A und O, um ein authentisches Markenimage aufzubauen. Daher sollten direkt danach die Texte zur Unternehmenshistorie (die klassische „Über-Uns“-Seite) sowie Stellenangebote und Jobbeschreibungen einheitlich überarbeitet werden, da hier die meisten geschlechtsbezogenen Formulierungen lauern.
- Grafikmaterial nicht vergessen! Allzu oft werden Websites und Werbematerialien rein sprachlich gendersensibel gestaltet, während die verwendeten (Stock-)Fotos eine ganz andere Sprache sprechen.
- Wenn Sie sich für eine Form der gendergerechten Sprache entschieden haben (zum Beispiel nur Doppelnennungen, nur Gendersterne oder nur Gender-Doppelpunkte), kommunizieren Sie diese Entscheidungen an alle Ebenen des Betriebs, sodass eine konsequente Umsetzung in sämtlichen Bereichen erfolgen kann. – Oder senden Sie uns direkt Ihre unverbindliche Anfrage für eine ganzheitliche gendergerechte Überarbeitung Ihrer Markenkommunikation ganz einfach an info@leonarto.de. Wir freuen uns auf Ihre Nachricht!
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