Medienrhetorik

Framing und Priming

Basics der Entscheidungspsychologie im Content Marketing

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Framing und Priming stehen seit vielen Jahren im Fokus der Medienforschung. Aus gutem Grund: Mit diesen beiden Effekten können Studien zufolge gezielt emotionale Zustände hervorgerufen, Bedürfnisse geweckt und Handlungen ausgelöst werden. Wie das genau funktioniert, was die beiden Disziplinen unterscheidet und welche Erkenntnisse der Entscheidungspsychologie wir im Content Marketing konkret nutzen können, erfahren Sie im folgenden Artikel.

August 26, 2021

Written by Carina D. Bukenberger

Rhetorik M.A.

1. Warum entscheiden sich Menschen für oder gegen eine Marke?

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In den meisten Fällen entscheiden sich Menschen vor allem unbewusst für oder gegen eine Marke. Denn: Rund 98% aller Überlegungen laufen im Unterbewusstsein ab. So kommt es vor, dass wir im Alltag immer wieder Konsumentscheidungen treffen, bei denen wir uns im Nachhinein kopfschüttelnd fragen, woher zum Teufel diese Eingebung kam. Aber wie schafft es Werbung, uns derart unbemerkt in unserer Entscheidungsfindung zu beeinflussen?

Durch Framing und Priming. Genauer gesagt, durch die Tatsache, dass das menschliche Hirn tendenziell immer die Lösung bevorzugt, die am besten verfügbar zu sein scheint. In der Kognitionspsychologie spricht man hierbei von der Verfügbarkeitsheuristik.

Was genau ist die Verfügbarkeitsheuristik?

Die Heuristik bezeichnet im Allgemeinen die Fähigkeit, mit wenig Informationen und wenig Zeit eine praktikable Lösung für ein Problem zu finden. Die Verfügbarkeitsheuristik gehört zu den sog. Urteilsheuristiken, die als individuelle Faustregeln fungieren.
Die Verfügbarkeitsheuristik ersetzt also den anstrengenden Weg der kreativen Lösungsfindung durch die einfache Frage danach, wofür in der eigenen Erinnerung die meisten passenden Beispiele verfügbar sind.

Für den Bereich Content Creation bedeutet das: Es lohnt sich immer, hochwertige und informative Inhalte zu gestalten, die Menschen emotional über einen langen Zeitraum begleiten und sie damit bereits in Phasen zu „primen“, in denen scheinbar noch keine akute Kaufabsicht besteht. Gutes Content Marketing greift also nicht nur zu Beginn der Customer Journey, sondern fungiert als ganzheitliches Tool: Es lässt eine Bindung entstehen, weckt Bedürfnisse und unterstützt die Zielgruppe effektiv im Prozess der Entscheidungsfindung – durch strategisches Framing und Priming.

2. Priming vs. Framing: Was ist das und wo liegt der Unterschied?

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Der wohl größte Unterschied von Priming und Framing liegt darin, dass die tatsächliche Wirksamkeit von Priming-Maßnahmen im Marketing umstritten ist, während die Wirksamkeit von Framing mit der normativen Entscheidungstheorie belegt werden kann. Dennoch lohnt sich ein Blick auf beide Effekte, da sie ohnehin in vielen Bereichen Überschneidungen aufweisen.

 

2.1 Priming: Vorbereitung eines Reiz-Reaktions-Schemas

Der Priming-Effekt bezeichnet in der Markenpsychologie die Beeinflussung des Verarbeitungsprozesses eines Reizes, durch einen anderen, ihm vorausgehenden Reiz. Wird im Marketing also mit Priming gearbeitet, so geht es darum, ein Reiz-Reaktions-Schema vorzubereiten, dem die Zielgruppe folgen soll.

So beispielsweise zu beobachten, wenn in Lebensmitteldiscountern Backautomaten zum Einsatz kommen: Teilweise werden nur wenige Produkte auf Knopfdruck frisch gebacken, dennoch erhöht sich der Absatz für alle angebotenen Backwaren. Warum? Weil der olfaktorische Reiz eine gustatorische Erinnerung aktiviert, aus der wiederum ein akutes Bedürfnis entstehen kann.
Der Geruch der Backwaren dient also als Hinweisreiz, der als Reaktion ein Bedürfnis nach Backwaren und damit einen Kauf auslösen soll. Dieser Zielreiz muss in diesem Fall stark genug sein, dass die Zielgruppe darüber hinwegsieht, dass nur Brezeln frischgebacken werden, die Tafelbrötchen im Einkaufswagen hingegen nicht.

Was ist das Problem mit Priming?
Wie bereits erwähnt, ist die Wirksamkeit von Priming in der Wissenschaft umstritten. Das liegt insbesondere daran, dass die Ergebnisse des bisher bekanntesten Priming-Experiments nie reproduziert werden konnten. Dabei handelte es sich um das 1996 durchgeführte sog. Florida-Experiment des US-amerikanischen Psychologen John A. Bargh.

2.2 Framing: Selektives Hervorheben von Informationen

Framing basiert auf der Tatsache, dass eine Botschaft bei gleichem Inhalt das Verhalten der Rezipierenden durch unterschiedliche Formulierungen oder Darbietungen unterschiedlich beeinflussen kann. 
Ein bekanntes Beispiel für die Funktionsweise von Framing sind verschiedene Formulierungen, die zum Thema Klima kursieren. Alle folgenden Formulierungen bezeichnen exakt denselben Inhalt, können im Publikum jedoch unterschiedliche Emotionen und Reaktionen auslösen, indem sie verschiedene Informationen bzw. Positionen selektiv hervorheben:

    • „Klimakatastrophe“ impliziert, dass sofort gehandelt werden muss.
    • „Klimawandel“ impliziert, dass das Phänomen aus sich selbst heraus geschieht.
    • „Klimakrise“ impliziert, dass es sich um einen vorübergehenden Zustand handelt.

Frames sind also in gewisser Weise auch Schubladen, in die wir neue Informationen einsortieren können, um uns aus dieser Einordnung wiederum vermeintlich sinnvolle Reaktionen abzuleiten: Bei einer Katastrophe könnte man in Panik ausbrechen. Einen Wandel könnte man verwundert beobachten. Eine Krise könnte man aussitzen.

Hinzu kommt: Informationen können immer dann besonders gut verarbeitet werden, wenn sie in einen zuvor aktivierten Frame passen. Es geht beim Content Marketing also unter anderem darum, die Zielgruppe dabei zu unterstützen, die richtigen Schubladen zu öffnen. Nämlich genau die Schulbaden, welche der Markenbotschaft zuträglich sind. Wie das funktioniert, zeigt unser nächstes Beispiel. 

3. Framing im Content Marketing: Rahmungen durch Produktdetails, Wording und Content Bits erklärt am Beispiel „DIRTEA EISTEE by Shirin David“ 

Neu am Eistee von Sängerin Shirin David ist vor allem der kleine Alu-Deckel (das sogenannte „Hygiene-Siegel“), welcher die Deckelöffnung vor Keimen schützen soll, so David im YouTube-Video zum Release der Produkte. Dieses Health-Framing wird mit dem Slogan „Stay safe, drink Dirtea.“ gestützt. Indem dabei immer wieder der Allgemeinplatz der Sicherheit aufgerufen wird, erhält das Produkt Innovationswert und wirft die Frage auf: Sind andere Getränke aus Dosen OHNE Alu-Deckel seit Corona überhaupt noch sicher?

Grafik: https://www.instagram.com/dirtea/
Drinks & More GmbH & Co. KG | Shirin David Management GmbH

Betrachtet die Kundschaft die Dose mit Alu-Deckel jedoch ohne das dazugehörige Framing, könnte das Urteil mit Blick auf Themen wie Umweltschutz, Müllvermeidung etc. gänzlich anders ausfallen. Oder warum sollten 2021 noch Produkte entwickelt werden, die noch mehr Abfall verursachen als ohnehin schon? So könnte das Produkt sogar als tendenziell eher rückschrittlich gewertet werden.

Ein anderer interessanter Punkt im Marketing zu DIRTEA Eistee ist die Namensgebung der Geschmackssorten, die einen weiteren Frame aufspannen: Mit „Wet Peach“, „Candy Shop“ und „Busty Blueberry“ wird hierbei ein Vokabular genutzt, welches das Image der Künstlerin festigt. So rekurriert „Candy Shop“ beispielsweise mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den 2003 von Künstler 50 Cent veröffentlichten Song mit der sagenumwobenen Line „I’ll take you to the candy shop, I’ll let you lick the lollipop.(Deutlich weniger Framing zeigt sich dagegen beispielsweise bei Capital Bras Eistee (Bratee), der bei den Geschmackssorten auf bodenständige Begriffe wie Wassermelone, Granatapfel, Pfirsich und Zitrone setzt.)

Der von den Namen der Geschmackssorten aktivierte Rahmen wird wiederum vom Design und der verwendeten Symbolik gestützt:

Grafik: https://www.instagram.com/dirtea/ | Drinks & More GmbH & Co. KG | Shirin David Management GmbH

Alle drei Designs basieren auf runden, weichen Formen und Symbolen, die weibliche Allgemeinplätze aufrufen, wie beispielweise der häufig als Emoji genutzte Pfirsich (🍑). Die Erklärung zu dieser Symbolik überlassen wir in diesem Fall gern den Expert:innen von Urban Dictionary.

Letzter und mit beeindruckendster Punkt, den wir hier beleuchten wollen, ist das Priming via Content Bits. Dieses läuft bei DIRTEA bisher hauptsächlich über YouTube, wo David mit ihrem Account zum Release-Zeitpunkt rund 2,82 Mio. Abonnent:innen erreicht. Dort bereitet sie im eingangs bereits erwähnten Clip die Zielgruppe auf das zu erwartende Geschmackserlebnis vor:

Die meisten Leute, die mich wirklich schon lange oder länger abonniert haben, vor allem auf YouTube, wissen, wie sehr ich Süßigkeiten liebe und ihr wisst auch, wie sehr ich süße Getränke liebe, dass ich ein Uludağ-Problem habe und dass bei mir immer das Dessert vor dem Hauptgang kommt.“ [Shirin David]

Mit diesem Statement liefert David ein gutes Beispiel für Priming im klassischen Sinne: Sie betont die enge Beziehung der Fans zur Marke Shirin David, stärkt diese erneut durch das Offenbaren persönlicher Details und hebt hervor, dass innerhalb des Markenuniversums ein extrem süßer Geschmack als gute Produkteigenschaft gilt. Mit der Erwähnung des türkischen Erfrischungsgetränks Uludağ Gazoz setzt David einen Referenz-Anker, mit dem schätzungsweise 90% ihrer Zielgruppe bereits ein Erlebnis verbindet. Damit wird ein Reiz-Reaktions-Schema vorbereitet, dem die Fans folgen können: Sie werden feststellen, dass der Eistee extrem süß schmeckt, sich implizit das wohlige Gefühl der Fangemeinschaft und Davids persönliche Vorliebe für extreme Süße erinnern, um das Produkt im Anschluss tendenziell positiv einzustufen. Dieser gesamte Prozess wird vom menschlichen Hirn zusätzlich mit einer Dopamin-Ausschüttung belohnt, da Dinge exakt so eingetreten sind, wie sie im Vorfeld antizipiert wurden.

Dass das Geschmacks-Priming im Marketing von DIRTEA funktioniert, beweist ein Blick in die Kommentarspalte:

4. Framing durch Form und Symbolik

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Es gibt also kaum einen Bereich innerhalb der Customer Journey, der ohne Framing auskommt. Und diese beginnt bekanntlich häufig mit einer klassischen Google-Suche. Hier stellen wir fest: Sobald zielgerichtet nach Informationen im Netz gesucht wird, geschieht dies unter Einbeziehung bestimmter Relevanzkriterien und einer individuellen Erwartungshaltung. Wer also beispielsweise „Hasenfutter“ googelt und Hasenfutter kaufen möchte, wird unbewusst direkt Snippets bevorzugen, aus welchen hervorgeht, dass der entsprechende Link zu einem Shop führt, beispielsweise, wenn unterhalb der Beschreibung Infos zu Bewertungen, Rezensionen und Lagervorrat eingeblendet werden.

Um bei der Zielgruppe kurz vor dem erfolgreichen Abschluss der Customer Journey nochmal Vertrauen zu wecken und sie in ihrem Entschluss zum Kauf zu bestärken, werden Bezahlformulare häufig durch die Verwendung bekannter Piktogramme von Banken und Zahlungsmitteln gerahmt:

Selbiges gilt für Rezensionen, Bewertungen und Zertifikate: Häufig wird alles, was einen halbwegs seriösen Anstrich hat, direkt und ungefiltert als offizielles Gütesiegel in den Entscheidungsprozess einbezogen, So können theoretisch selbst frei erfundene Abzeichen dazu führen, dass ein Produkt, eine Webseite oder eine Dienstleistung positiver wahrgenommen wird.

5. Framing in der Preisgestaltung: Optimale Preisanker setzen

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Wann immer für ein Produkt oder eine Dienstleistung preislich mehr als zwei Optionen zur Auswahl stehen, wird in den allermeisten Fällen die mittlere Option gewählt. Auch das lässt sich damit begründen, dass die mittelpreisige Option durch die beiden anderen entsprechend gerahmt wird. Denn: Die günstigste Variante wird intuitiv mit Minderwertigkeit verknüpft und teuerste Variante birgt die Gefahr, dass hohe Erwartungen enttäuscht werden. Aus diesem Grund arbeiten zahlreiche Marken mit strategischen Preisankern und bieten beispielweise ihre Produkte und Services in drei unterschiedlichen Ausführungen an:

  1. Basic Haarpflege: 19,00 EUR
  2. Standard Haarpflege: 49,00 EUR
  3. Premium Haarpflege: 89,00 EUR

Wer ursprünglich mit rund 30 Euro für die Haarpflege gerechnet hat, wäre von dem Standard-Angebot für 49,00 EUR ohne diesen Kontext höchstwahrscheinlich abgeschreckt. Betrachtet die Person jedoch den Preis im Zusammenhang mit den beiden anderen Varianten, wird es sehr viel wahrscheinlicher, dass die Kaufentscheidung zu Gunsten des zweiten Angebots ausfällt. Viele Unternehmen listen daher eine überteuerte Premium-Version, die einzig und allein diesem Zweck dient. Mit diesem Modell arbeiten Restaurants häufig, wenn Weine mit Preisen über 100 Euro angeboten werden: Diese werden so gut wie nie verkauft. Und das sollen sie auch gar nicht! Sie dienen lediglich als Preisanker.

Genauso wirksam können Preisanker auch in anderen Kontexten sein, wie beispielsweise beim Einkaufswert, ab welchem kostenfreier Versand angeboten wird. Wirbt ein Lebensmittel-Versand beispielsweise mit „Versandfrei ab 8,00 EUR Einkaufswert“ so sind exakt diese acht Euro der erste Preisanker, der bei der Zielgruppe gesetzt wird. Und er suggeriert in diesem Fall: Hier kannst du schnell etwas bestellen, ohne lang überlegen zu müssen! Wirbt derselbe Shop hingegen mit „Versandfrei ab 49,00 EUR Einkaufswert“, wird die Kaufentscheidung damit bei niederpreisigen Produkten tendenziell deutlich länger hinausgezögert.

6. Fazit: Framing und Priming als wichtige Säulen im Content Marketing?

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Framing und Priming stehen seit mehreren Jahrzehnten bereits im Fokus der Medien- und Rhetorikforschung, da sich durch diese beiden Effekte zahlreiche Phänomene erklären lassen, wie die Aktivierung emotionaler Zustände als Reaktion auf bestimmte mediale Inhalte oder das Hervorrufen von Bedürfnissen durch gezielte Stimulation. Dennoch ist die Faktenlage insbesondere rund um den Priming-Effekt nach wie vor dünn.
Da es sich jedoch in beiden Bereichen um sehr wirksame Instrumente der Beeinflussung handelt, hoffen wir auf baldige Forschungserfolge – auch um mehr Gewissheit darüber zu erlangen, wie sich Framing und Priming im medialen Bereich insbesondere über längere Zeiträume auf die Informationsverarbeitung und das Konsumverhalten von Menschen auswirken können.

Literaturempfehlungen:

Erving Goffman: Frame analysis. An essay on the organization of experience. Harvard University Press. 1974.

Youjae Yi: The Effects of Contextual Priming in Print Advertisement. In:  Journal of Consumer Research, Volume 17, Issue 2, September 1990. Pages 215–222.

John A. Schibrowsky, James W. Peltier: Decision frames and direct marketing offers: A field study in a fundraising context. Journal of Direct Marketing Volume 9, Issue 1, 1995. Pages 8-16.

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