Social Media Rhetorik
Die Rhetorik der sozialen Medien
Inhalt
1. Prosumer – Die produzierenden Consumer des 21. Jahrhunderts
2. Das Smartphone als Dispositiv
3. Blog-Rhetorik: Multimodales Erzählen in eigener Sache
4. Instagram-Rhetorik: Mediale Authentizitätskonstruktion
5. Facebook-Rhetorik: Was machst du gerade?
6. Twitter-Rhetorik: Docere, delectare und movere in 140 Zeichen
7. Meme -Rhetorik: Content-Recycling und Rekontextualisierung
Wie gelingt es, die eigene Zielgruppe in den sozialen Medien zu überzeugen? Gibt es rhetorische Richtlinien für die Öffentlichkeitsarbeit via Social Media? Und was sagt die antike Rhetorik zur Distanzkommunikation?
Januar 29, 2019
Written by Carina D. Bukenberger
1. Prosumer - Die produzierenden Consumer des 21. Jahrhunderts
D ie vergangenen 20 Jahre waren geprägt von immer neuen Möglichkeiten kommunikativer Beteiligung: Der öffentliche Kommunikationsraum hat gravierende Veränderungen erfahren, sodass aus Bürgerinnen und Bürgern selbst Akteurinnen und Akteure wurden. Während früher der Zugang zu gesellschaftlichen Diskursen massenmedial gefiltert wurde, steht es heutigen >Produsern< frei, selbst zu Autorinnen und Autoren weltweit verfügbarer Informationen und Meinungen zu werden.
Diese Neuerung brachte nicht nur die Diskursmacht und Orientierungsfunktion traditioneller Massenmedien ins Wanken, sondern unterzog auch politische und ökonomische Institutionen einem unfreiwilligen Strukturwandel. Die sozialen Medien haben unsere gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die >Dispositive<, verändert. Bösen Zungen zufolge haben sie im selben Zug zur Verrohung der öffentlichen Kommunikation beigetragen und das neue Phänomen der >Filterblase< bzw. der >Echokammer< geschaffen.
Soziale Medien haben unsere Kommunikationskultur grundlegend und unwiderruflich verändert: Nicht nur Öffentlichkeit und Privatheit verschränken sich zusehends, auch Kommerzialität und Nicht-Kommerzialität werden immer schwieriger von einander abzugrenzen. Zu diesen Konsequenzen der sozialen Medialisierung unseres Alltags gehören aber auch neue Anforderungen an unsere kommunikativen Fähigkeiten. Wie bei der Einführung einer neuen Kommunikationsform üblich, durchliefen auch die sozialen Medien in den vergangenen Jahren zahlreiche Phasen des Ausprobierens und des Adaptierens bereits bewährter Fähigkeiten an die neuen Rahmenbedingungen. Dabei tendiert der Mensch aufgrund des stilistischen Trägheitsprinzips zunächst dazu, bisherige Vorgehensweisen zunächst beizubehalten. Inzwischen konnten wir aber die Grenzen dieser „neuen“ Kommunikationsform entsprechend ausloten und deren tatsächliche kommunikative Potentiale inhaltlich und strukturell erkennen.
Die Grundlage einer wissenschaftlich stichhaltigen Social Media-Rhetorik bildet eine spezifische Analyse einzelner Kommunikationsformen, inklusive ihrer medialen Strukturen und internen Logiken. Auf diese Weise sollen die jeweiligen Dispositive als gesellschaftliche Rahmungen rekonstruiert und greifbar gemacht werden.
Im Internet sehen wir uns einer scheinbar unendlichen Zeichenflut ausgesetzt, die wiederum eine komplementäre Aufmerksamkeitsknappheit unter den Rezipierenden zur Folge hat. Nun gilt es für die Social Media-Rhetorik spezifische Strategien zu entwickeln, um in diesem nie enden wollenden Fluss der Kommunikate aufzufallen. Dabei behalten grundsätzliche rhetorische Prinzipien wie Logos, Ethos und Pathos natürlich weiterhin ihre Geltung. Es gilt sie lediglich an die neuen medialen Anforderungen anzupassen.
Vertiefend zu dazu:
2. Das Smartphone als Dispositiv
D ie allgemeine Rhetorik geht generell von der Annahme aus, dass Medien Spuren an Inhalten hinterlassen, die auf ihnen gespeichert und gesendet wurden. Entsprechend wichtig ist es, die Rahmenbedingungen einzelner Medien zu kennen, bevor sie durch ihre Spuren unsere Inhalte verändern. Diese Bedingungen einzelner Dispositive können technischer, ökonomischer, politischer oder kultureller Natur sein und haben starken Einfluss auf das Verhalten der Nutzenden, aber auch auf die Ideologie und Macht einer Kommunikationsform. Insbesondere in diesem engen Korsett aus Vorgaben und Richtlinien gilt es die rhetorischen Möglichkeiten eines Settings zu kennen.
Wir betrachten also zunächst das Smartphone bzw. Handy an sich als Dispositiv, dessen Medialität und Materialität die Produktion von Sinn und Bedeutung auf digitaler Ebene maßgeblich beeinflussen. Zum Rahmen des Dispositivs <Smartphone> gehören „die Ideologie der Erreichbarkeit und die daraus resultierende Macht, unsere kommunikativen Praktiken und sozialen Gefüge neu zu strukturieren“ (Klemm, 2017). Und diese Umstrukturierungen betreffen sogar Menschen, die nicht einmal im Besitz eines Smartphones sind: Wer sich heutzutage sozialen Medien und Netzwerken gänzlich entzieht, bekommt die Konsequenzen häufig im Privat- oder gar im Berufsleben zu spüren.
Betrachten wir nun >Social Media< als eigenes Dispositiv, so fällt auf, dass Plattformbetreiber durch ihre jeweiligen formalen Restriktionen wesentlich darüber bestimmen, wie wir uns am Smartphone im jeweiligen Netzwerk äußern können. Im Gegenzug bekommt der/die Nutzende die Freiheit zugestanden, sich inhaltlich weitestgehend unreglementiert äußern und präsentieren zu dürfen. Gleichzeitig können strenge Restriktionen, wie die semiotische Begrenztheit von Twitter, auch die Kreativität der Nutzenden fördern. So entstanden beispielsweise die mittlerweile in Form von Emojis industrialisierten Emoticons, welche ursprünglich noch aus tatsächlichen Schriftzeichen bestanden.
Der Begriff „Dispositiv“ wurde erstmals von Michel Foucault im Rahmen der Diskursanalyse verwendet. Er stellte die These auf, dass gesellschaftliche Kommunikation immer in einem institutionalisierten Rahmen stattfinde, der sich formend auf das Kommunikat auswirke. Diese formgebenden Dispositive können aus den unterschiedlichsten Elementen bestehen, wie z.B. Logiken, Regeln, Institutionen, Praktiken und Ideologien. Durch sie können bestehende Machtverhältnisse einer Gesellschaft reproduziert und gefestigt werden.
Die gesellschaftliche Adaption eines neuen Dispositivs kann sich über Jahrhunderte entwickeln, wie zu Zeiten Gutenbergs, oder aber innerhalb eines einzigen Jahrzehnts beinahe vollkommen abgeschlossen sein. Dieser kulturelle Wechsel zu neuen Zeichensystemen und Leitmedien geschieht in Form nachhaltiger sozialer Schübe. So vollzog sich über Jahrhunderte hinweg der Wandel von Mündlichkeit zu Schriftlichkeit, bis hin zum heutigen elektronisch generierten multimodalen Zeichenkomplex.
3. Blog-Rhetorik: Multimodales Erzählen in eigener Sache
Der klassische Blog (kurz für Weblog), als Internetseite mit chronologisch geordneten, periodisch erscheinenden Einträgen und einer Kommentarfunktion, kann gewissermaßen als Grundstein der heutigen Social-Media-Welt betrachtet werden. Wie in der antiken Rhetorik stand die Macht des Wortes im Vordergrund und wurde lediglich von einigen wenigen schmückenden Elementen gestützt. Nun lag der besondere Reiz dieser technischen Innovation insbesondere in der neuartigen Diskursivität und interaktiven Dynamik von Inhalten und Prosumern. Blogs wurden in dieser Anfangsphase als besonders authentisch und nicht-kommerziell wahrgenommen. Auf dieses Ideal berufen sich auch heute noch zahlreiche Influencer, deren Einkommen quasi auf ihrem Authentizitätsversprechen beruht.
Der Blog hat sich insbesondere im vergangenen Jahrzehnt immer mehr vom persönlichen Tagebuch, hin zu einer semiprofessionellen Kommerzialität entwickelt, sodass auch hier die Gattungsgrenzen zusehends verschwimmen: Der Blog wurde vom reinen Schriftmedium zum multimodalen Alleskönner: Neue technische Gegebenheiten zu audiovisuellem Erzählen ermöglichen eine nie dagewesene Form der Verdichtung von Inhalten und einzelnen Kommunikaten. Es rückt also die Fähigkeit zu kontinuierlichem Storytelling in Text, Bild und Ton in den Vordergrund, wobei die präsentierten Informationen stets lebensweltliche Anknüpfungspunkte für die Rezipierenden bieten sollten. Auf diese Weise kann von den Bloggenden selbst die überzeugende Inszenierung ihrer tatsächlich authentischen Erzählhaltung befeuert werden.
Der Blog ist eine äußerst heterogene Kommunikationsform, die im Laufe der Jahre zahlreiche eigene Unterkategorien, Texturen und Formate hervorgebracht hat. Mittlerweile existieren – um nur einige zu nennen – Corporate Blogs, Modeblogs, Foodblogs, Travelblogs, Filter-Style-Blogs, Wahlblogs, Scienceblogs, Watchblogs und Wirtschaftsblogs, die durch eine Mischung aus individueller Narration und Serviceangeboten überzeugen.
4. Instagram-Rhetorik: Mediale Authentizitätskonstruktion
Während auf Facebook und Twitter Posts ohne multimedialen Inhalt zwar nicht beliebt, aber möglich sind, ist bei Instagram pro Veröffentlichung mindestens ein Foto oder Video erforderlich. Seit 2010 bietet der werbefinanzierte Onlinedienst seinen Nutzenden die Möglichkeit, audiovisuelles Microblogging mit minimalem Aufwand zu betreiben: Die App bietet viele Möglichkeiten der digitalen Nachbearbeitung von Bildmaterial, woran bereits deutlich wird, dass hier großer Wert auf Ästhetik gelegt wird. Gleichzeitig bieten die stetig wachsende Auswahl an Effekten immer mehr Möglichkeiten zur Konstruktion der eigenen Authentizität. Gleichzeitig treten dabei sprachliche Elemente immer stärker hinter visuellen Inhalten zurück. Ausgenommen natürlich der Hashtags: Die strategische Auswahl der richtigen Operatoren, wie Links. Tags und Adressierungen, hat direkten Einfluss auf die jeweilige Reichweite eines Posts.
Der Begriff Foto-Rhetorik bezieht sich auf das fotografische Bild und ist damit ein Spezialgebiet der klassischen Bildrhetorik. Der Fotografie werden durch ihre Entstehung und Verarbeitung bestimmte Merkmale zugeschrieben, die über ihre Eigenschaften als Bild hinausgehen. Die Foto-Rhetorik betrachtet die Fotografie als Text. Ähnlich wie verbalsprachliche Texte, setzt sich die Fotografie aus kleinen Einheiten zusammen, die rhetorisch in größeren Einheiten zusammengefasst werden können.
5. Facebook-Rhetorik: Was machst du gerade?
Das Beziehungsnetzwerk Facebook bietet seinen Nutzenden seit 2004 eine breite strukturelle Basis, um kommunikativ tätig zu werden: Es existieren Profile, Gruppen und Seiten, wobei Facebook für jedes Format eigene Funktionen vorsieht. Unternehmen wird die Arbeit hier deutlich erleichtert, da Seiten resp. Like-Pages von mehreren Personen betreut werden können. Gleichzeitig erlaubt Facebook das Planen von Beiträgen, die zu einer festgelegten Uhrzeit automatisch veröffentlicht werden. Auf diese Weise kann auf Facebook eine kontinuierliche und regelmäßige Rezipientenansprache vorgenommen werden, ohne dass dafür externe Anwendungen bemüht werden müssten.
Bereits die plattforminterne Bezeichnung der Follower bzw. Abonnenten als „Freunde“ lässt auf die Ideologie des Netzwerks schließen: Auf Facebook geht es um Freundschaft, um Socializing und um Affirmation. Die Nutzenden definieren sich dabei zu großen Teilen darüber, was sie mögen. Denn die eigenen Likes werden „Freunden“ im Feed angezeigt, was durchaus eine stark imageformende Wirkung haben kann. Interagieren Nutzende häufig mit Posts, Seiten oder Gruppen zu immer wiederkehrenden Themen und Diskursen, kann dies zu sog. Filterblasen resp. Echokammern selbstreferentieller Meinungsbildung führen. Nicht zuletzt deshalb ist Facebook für ernsthafte politische Diskussionen nur selten das Medium der Wahl.
Anders als Twitter eignet sich Facebook nicht unbedingt für das Anstoßen politischer Diskussionen, sondern eher zur Sichtbarmachung bestehender Diskurse: Durch selbstgenerierte Öffentlichkeiten können Inhalte relativ präzise gebündelt und an die entsprechenden Zielgruppen in ggf. unterschiedlichen Ausführungen distribuiert werden. Hinzu kommt die unbegrenzte Länge des Posts, sowie die Möglichkeit zum direkten Kommentar. Damit zeigt sich die Plattform Facebook strukturell umfangreicher, dialogischer, argumentativer, dauerhafter und gewissermaßen auch öffentlicher, als der Kurznachrichtendienst Twitter.
6. Twitter-Rhetorik: Docere, delectare und movere in 140 Zeichen
Der Kurznachrichten- bzw. Microblogging-Dienst Twitter bietet seinen Nutzenden seit 2006 die Möglichkeit zur öffentlichen Schriftkommunikation mit Option auf multimodale und intertextuelle Erweiterung via Link. So kann ein Tweet beispielsweise durch die Operatoren Hashtag (#) und Adressierung (@) inhaltlich erweitert werden. Tweets zielen zwar zunächst auf eine private Öffentlichkeit von Followern bzw. Abonnierenden ab, sind aber weltweit sichtbar und können so durch die gezielte Selektion von Hashtags eine gigantische Distributionsfläche erreichen. Daher ist Twitter als alternatives Kommunikationsmedium insbesondere in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Kultur beliebt: Anders als bei den etablierten Massenmedien, ist bei der Veröffentlichung von Inhalten hier kein externes Korrektiv involviert. Auf diese Weise gelangen Informationen häufig spontan und ungefiltert an die breite Öffentlichkeit, wobei die Diskursmacht des Mediums von Twitterern häufig unterschätzt wird.
Aufgrund der formalen Restriktionen gilt die Prägnanz einer Formulierung auf Twitter als höchstes Gut: Komplexe Sachverhalte müssen pointiert und schlagfertig in wenige Worte gefasst werden, um sich im Twitter-Diskurs wirksam entfalten zu können. Es gilt quasi die eigenen Inhalte parolenfähig zu machen, um selbst zum Meinungsführer zu werden. Prominentestes Beispiel dafür ist wohl US-Präsident Donald Trump. Von ihm stammte ursprünglich #nastywoman für Hilary Clinton. Dieses Hashtag erfuhr im Zuge einer Protestkampagne allerdings eine Umdeutung zu Gunsten Clintons. Eine solche Entwicklung ursprünglich pejorativer Formulierungen ist typisch für die kommunikative Dynamik auf Twitter (Vgl. Klemm, 2017).
Klemm bezeichnet Tweets als „multimodale Komprimate, unter deren Oberfläche komplexe semiotische und semantische Strukturen versteckt sein können.“ Es sei die „epigrammatische Kürze“ der Tweets, welche die eigentliche rhetorische Herausforderung des Mediums darstellt. Der Orator ist hier quasi gezwungen mit stark eingeschränktem Organon zu arbeiten, wodurch sich neue kommunikative Formen entwickelt haben. So beispielsweise Hashtags, welche längst über ihre eigentliche und ursprüngliche Funktion der Kategorisierung von Inhalten hinausgewachsen sind.
7. Meme -Rhetorik: Content-Recycling und Rekontextualisierung
Das Meme ist ein Kommunikat, das auf bestehenden Elementen und Motiven basiert, die entweder ganz erhalten bleiben oder im Zuge der Rekontextualisierung spielerisch verändert oder ergänzt werden. Bei der Produktion solcher Memes werden interpretative Leerstellen genutzt und mit neuer Bedeutung bzw. Funktion gefüllt.
Ein Meme gilt als erfolgreich, wenn es nicht nur viral verbreitet wird, z.B. über Twitter, Facebook, Instagram, 4chan, 9gag oder Reddit, sondern auch andere Prosumer zur weiteren Bearbeitung animiert. Entsprechend durchläuft das ursprüngliche Kommunikat im besten Falle gleich ein mehrfaches Recycling auf den unterschiedlichsten Plattformen, wodurch das Ausgangsmaterial immer wieder von unterschiedlichen Nutzenden rekontextualisiert wird. Ein sehr bekanntes Beispiel ist die komische Betextung bekannter Pressefotos, die durchaus Potential besitzen, zu eigenständigen Disursbeiträgen zu werden. So können Memes diskursive und kulturelle Bedeutung gewinnen, „wenn aus einzelnen Bild-Sprache-Kombinationen umfangreiche Serien ähnlicher und doch immer wieder anders gerahmter Kommunikate werden“ (Klemm, 2017).
Kunsthistorisch kann das Meme des 21. Jahrhunderts gemeinsam mit Emblem, Figurengedicht, Bildergeschichte und Comic in die Reihe der bimedialen Kunstformen eingeordnet werden. Memes verbinden Bilder und Texte auf besondere Weise, sodass es für die Betrachtenden gilt den verborgenen (und meist komischen Sinn) hinter einem zunächst rätselhaften ersten Eindruck zu erkennen. Ganz ähnlich wie Embleme der humanistischen Renaissance vermitteln Memes häufig Lebensweisheiten und Verhaltensnormen bestimmter gesellschaftlicher Gruppierungen in ansprechender graphisch-literarischer Form. Somit können durch Memes triviale Artefakte zu vielsagenden Spiegelungen von gesellschaftlichen und kulturellen Strukturen werden.
8. Digitale Kommunikation als multimodales Konstrukt
Die Betrachtung einzelner Kommunikationsformen auf Social Media Plattformen macht deutlich: Sprache erfährt in der digitalen Welt keine Vereinfachung, sondern wird durch audiovisuelle Anreicherungen zu einem multimodalen und sehr komplexen Konstrukt, das die unterschiedlichsten Anforderungen an Produzierende und Rezipierende stellt.
Zwar kann durchaus eine Verknappung sprachlicher Mittel beklagt werden, insbesondere wenn das quasi nonverbale „Liken“ und „Retweeten“ einer Betrachtung unterzogen wird, doch ist eine gleichermaßen starke sprachliche Ästhetisierung ebenfalls nicht von der Hand zu weisen: Blogs, Instagram- und Facebook-Posts fordern geradezu eine gewisse „Rhetorik der semantischen Überfülle“, während Tweets und Memes durch eine „Rhetorik des Minimalen“ an Brillianz gewinnen (Vgl. Klemm, 2017). Somit sind die Anforderungen, welche Social Media an digital agierende Orator-Instanzen stellt, alles andere als gering: Wer auf Instagram, Facebook und Co. Einfluss gewinnen möchte, muss die Dispositive, Eigenlogiken und Kommunikationsstrukturen einer Plattform begriffen haben. Es gilt insbesondere die kontinuierliche und stilsichere Rezipientenansprache zu beherrschen, um mit den eigenen Kommunikaten eine möglichst große Community zu erreichen. Gleichzeitig muss die Nüchternheit reiner Schriftkommunikation durchbrochen werden, um im jeweiligen Feed Aufmerksamkeit für das eigene Anliegen zu generieren. Dies gelingt je nach Plattform durch Emotionalität, Spontanität, Authentizität und Originalität, sowie durch die Anreicherung des Sprachtextes mit multimedialen Elementen und Operatoren wie Adressierungen und Hashtags.
Werden all diese Aspekte bei der Produktion von Social Media-Beiträgen berücksichtigt, fällt es natürlich schwer, länger von absoluter Authentizität zu sprechen. Klemm bezeichnet daher die gesamte öffentliche Kommunikation in sozialen Medien als inszeniert. Jedoch verwendet er den Begriff der Inszenierung dabei nicht im negativen Sinne, sondern verweist auf Erving Goffmans legendäres Werk „The Presentation of Self in Everyday Life“ von 1959, welches die alltägliche Selbstinszenierung von Individuen als selbstverständlich und gewissermaßen konstitutiv für die heutige Gesellschaft beschreibt.
9. Quellen und Literaturempfehlungen
Goffman, Erving: The Presentation of Self in Everyday Life. New York, 1959.
Klemm, Michael: Bloggen, Twittern, Posten und Co. – Grundzüge einer Social-Media-Rhetorik. In: Neuber, W.; Oesterreich, P.; Ueding, G.; Vidal, F.: Rhetorik. Ein internationales Jahrbuch. Band 36. Heft 1. S.5-30.
Knape, Joachim: The Medium is the Message? Medientheoretische Anfragen und Antworten der Rhetorik. In ders.: Medienrhetorik. Tübingen, 2007.
Kalivoda, Robling, Zinsmaier, Barasch, Asmuth: Bild, Bildlichkeit. In Ueding, G. (Hg.): Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 2. Tübingen, 1994.
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