Medienrhetorik
How to do Things with Words online
Wie uns die Sprechakttheorie bei der digitalen Kundenansprache nützen kann
August 7, 2018
Written by Carina D. Bukenberger
Ob in der direkten Kommunikation oder in der digitalen Kundenansprache, – allzu oft fragen wir uns: Macht es einen Unterschied ob ich als Unternehmen etwas sage und es auch meine, oder etwas sage, ohne es zu meinen? Was bedeutet es, etwas bestimmtes zu meinen und nicht etwas anderes? Und auf welche Weise können Wörter überhaupt Dinge resp. Handlungen eines Unternehmens als Oratorinstanz vertreten? Also wie formuliere ich Headlines, Taglines, Snippets und CTA’s, die eine tatsächliche Anschlusshandlung der Rezipierenden wahrscheinlich machen?
Mit Fragen wie diesen zur Philosophie von Sprache und Kommunikation beschäftigte sich auch J. R. Searle, als er 1969 seine bekannte Sprechakthypothese aufstellte: „Das Sprechen einer Sprache ist eine regelgeleitete Form des Verhaltens.“
1. Die digitale Sprechakttheorie
Für unsere digitale Sprechakttheorie beziehen wir uns zu großen Teilen auf die Theorien von John R. Searle und John L. Austin, die nur wenige Jahre nacheinander veröffentlicht wurden. Austins bekanntestes Werk „How to do Things with Words“ wurde 1955 an der Harvard Universität als Vorlesung gehalten und enthält noch einige Widersprüche, mit denen Searle, einstiger Schüler Austins, in seinem Werk aufräumt. Deshalb werden wir im Folgenden immer wieder Vergleiche zwischen beiden Theorien ziehen und unterschiedliche Begrifflichkeiten und Definitionen gegeneinander aufwiegen.
Wie sich zeigen wird, existieren die unterschiedlichsten Wege, eine Sprechhandlung zu vollziehen, bzw. kommunikative Ziele (lat. Tele) durch Sprechakte im Mono-, Dia- oder Polylog umzusetzen. Entsprechend ist sogar in der analogen Situativik (z.B. im Face-to-Face-Gespräch) häufig unklar, welche Handlung ein Sprecher (lat. Orator) mit einer bestimmten Äußerung nun vollziehen möchte. Deshalb gilt es insbesondere in der digitalen Dimissivik mit dem entsprechend vergrößerten kommunikativen Abstand richtig umzugehen.
Für rhetorisch erfolgreiches Online Marketing gilt es also die eigene Werbebotschaft unmissverständlich (ohne „Trübungen und Lücken“ (Austin 1962)) zu kommunizieren und die Reaktion der Adressierten bereits im Geiste zu antizipieren. Denn im Gegensatz zum direkten Gespräch kann ein missglückter Sprechakt auf (statischen) Websites nicht durch eine weitere Sprechhandlung revidiert werden. Meist ist der Nutzende aufgrund der scheinbar unendlichen Auswahl an Alternativen innerhalb von Sekunden verloren und tätigt seinen Online-Einkauf bei einem anderen Anbieter, der in der Lage ist, sein Angebot konkreter und ansprechender zu kommunizieren.
Also wie müssen Headlines, Taglines, Snippets, Einleitungen und CTA’s formuliert sein, um tatsächliche Konversionen zu erreichen und potentielle Kunden zu tatsächlichen Kunden zu machen? Um diese Frage dezidiert zu beantworten, betrachten wir zunächst einmal die von Austin und Searle für die analoge Situativik aufgestellten Sprechakttheorien.
Aus Gründen einer verbesserten Lesbarkeit wird in diesem Artikel das generische Maskulinum verwendet. Dies beinhaltet keinerlei Wertung und schließt sämtliche Geschlechteridentitäten mit ein.
2. John Langshaw Austin: Die Unterscheidung der Sprechakte
Lokutionäre Akte
[lat. locutio = Sprache] bezeichnen die eigentliche Handlung des Sprechens, also die Äußerung von Wörtern: „Saying something in the full normal sense“ (Austin, 1962). Der lokutionäre Akt lässt sich in drei Teile untergliedern: 1. Phonetischer Akt (Hervorbringen sprachlicher Laute und Lautketten), 2. Phatischer Akt (Hervorbringen von Äußerungen nach gram. Regeln unter der Verwendung von syntaktischen Strukturen), 3. Rhetischer Akt (Hervorbringen von Äußerungen mit sinnvollen Bezügen und Bedeutungen).
Illokutionäre Akte
bezeichnen den Vollzug einer konventionellen Sprechhandlung, bei welcher der Orator ein Objekt erwähnt, bezeichnet oder prädiziert, auf das er sich in seiner Aussage bezieht. Dies gelingt mittels der Kraft, die mit seiner Aussage oder einer explizit performativen Paraphrase verbunden ist. Illokutionäre Akte lassen sich nach ihren Glückensbedingungen und Effekten weiter ausdifferenzieren. Searle verwendete den von Austin geprägten Begriff nur sehr vorsichtig,
Perlokutionäre Akte
2.1 Sprechaktklassen nach J. L. Austin
Verdiktive Sprechakte
Bei verdiktiven Äußerungen wird basierend auf Beweismaterialien oder Argumenten ein (amtliches) Urteil über Werte oder Tatsachen abgegeben. Es wird also von der Urteilskraft Gebrauch gemacht. Der Inhalt einer verdiktiven Äußerung kann entweder wahr oder falsch sein (z.B. das „Aus“, „Tor“ oder „Foul“ des Schiedrichters). Häufig hängt das Gewicht einer solchen Aussage mit Rolle, Autorität oder Kompetenz des Orators ab.
Beispiele:
beurteilen, als etw. bestimmen, einordnen, zu etw. rechnen, an einem Ort lokalisieren, auf einen Zeitpunkt datieren, diagnostizieren, deuten, auslegen, auffassen, als etw. lesen, messen, errechnen, veranschlagen, als etw. kennzeichnen, für etw. erklären, für Recht befinden, auf etw. erkennen, freisprechen, schuldig sprechen, jmd. etw. vorwerfen, jmd. für etw. verantwortlich machen, jmd. etw. unterstellen, einstufen, einschätzen, taxieren, bewerten, entscheiden, festsetzen
Exerzitive Sprechakte
Eine exerzitive Äußerung ist die verbalisierte Entscheidung des Orators, dass etwas so und so sein sollte. Also eine Befürwortung, anstelle einer Bewertung und ein Strafausspruch, anstelle eines Schuldausspruchs. Der Orator setzt damit seinen Einfluss durch oder nutzt seine Autorität. Perlokutionäre („außersprachliche“) Folgen einer solchen Äußerung können Verpflichtungen, Ermächtigungen oder Einschränkungen anderer sein.
Beispiele:
befehlen, bestimmen, anweisen, beauftragen, untersagen, verbieten, auferlegen, verordnen, verfügen, vorschreiben, übertragen, anvertrauen, zu etw. verurteilen, mit etw. belegen, ächten, verzeihen, begnadigen, erlauben, bewilligen, gewähren, schenken, vermachen, widmen ernennen, absetzen, entlassen, zurücktreten, vorschlagen, empfehlen, befürworten, tadeln, rügen, billigen, anerkennen, plädieren, auf etw. bestehen, abraten, warnen, Einspruch erheben, sich entscheiden, beschließen, bestürmen, fordern, verlangen, ermahnen, beanspruchen, nominieren, verzichten, aufheben, absagen, abbestellen, außer Kraft setzen
Kommissive Sprechakte
Mit einer kommissiven Äußerung legt sich der Orator selbst auf ein bestimmes Verhalten fest, übernimmt eine Verpflichtung oder erklärt eine Absicht. Austin fasst unter diesem Überbegriff sowohl Sprechhandlungen wie „Absichten erklären“, als auch „Verpflichtungen übernehmen“ und eröffnet damit eine Kategorie der Grenzfälle.
Beispiele:
versprechen, sein Wort geben, sich verpflichten, zusagen, geloben, übernehmen, verheißen, sich erbieten, beantragen, um jmds. Hand anhalten, vorschlagen, Einspruch erheben, Partei ergreifen, sich anschließen, zustimmen, einwilligen, genehmigen, auf etw. eingehen, sich verbürgen, garantieren, wetten, vereinbaren, verabreden, übereinkommen
Konduktive Sprechakte
Konduktive Äußerungen sind reagierende Sprechhandlungen auf das vergangene, aktuelle oder unmittelbar bevorstehende Verhalten anderer. Der Orator nimmt damit eine bestimmte Haltung ein. Häufig besteht eine enge Verbindung zur Beschreibung unserer eigenen Gefühle und Feststellungen über eben diese.
Beispiele:
bereuen, gutheißen, loben, empfehlen, verwerfen, ignorieren, grüßen, begrüßen, willkommen heißen, Lebewohl sagen, jmd. etw. wünschen, auf jnd. anstoßen, auf jnd. trinken, segnen verfluchen, fordern, herausfordern, es mit jmd. aufnehmen, sich gegen etw. verwahren, sich etw. erlauben
Expositive Sprechakte
Expositive Äußerungen sollen verdeutlichen, wie die Aussagen des Orators aufzufassen sind, mit denen er begründet, argumentiert und seine Ansichten darlegt. Sie erleutern also seine Mitteilung dezidierter.
Beispiele:
behaupten, leugnen, feststellen, beschreiben, einordnen, klassifizieren, identifizieren, anmerken, bemerken, anführen, erwähnen, mitteilen, benachrichtigen, erwidern, antworten, entgegnen, fragen, versichern, bezeugen, beeiden, melden, berichten, mutmaßen, anerkennen, zugeben, einräumen, zugestehen, zustimmen, beipflichten, einwenden, zurückweisen, korrigieren, richtig stellen, voraussetzen, ableiten, folgern, schließen, Gründe anführen, auslegen, deuten, kennzeichnen, veranschaulichen, näher erläutern, weiter ausführen
3. John Rogers Searle: Der Aufbau von Sprechakten
J. R. Searle unterscheidet den eigentlichen Äußerungsakt (das Hervorbringen von Lauten), den propositionalen Akt (Referenz und Prädikation), den illokutionären Akt (Handlungstyp) und den perlokutionären Akt (Konsequenzen und Wirkung). Es können sich also zwei Sprechhandlungen im Äußerungsakt deutlich unterscheiden, sich aber im propositionalen und illokutionären Akt gleichen, solange ein identischer propositionaler Gehalt gegeben ist:
Äußerungsakte
Propositionale Akte
Illokutionäre Akte
werden auch als illokutiv bezeichnet und bestehen darin, dass mit dem Vollzug eines Äußerungsaktes und eines propositionalen Aktes gleichsam eine bestimmte situations- und adressatenbezogene kommunikative Handlung vollzogen wird. Z.B. auffordern, behaupten, fragen, danken, raten usw.
Perlokutionäre Akte
3.1 Sprechakt-Klassifikationen nach J. R. Searle
Repräsentative Sprechakte
Direktive Sprechakte
Kommissive Sprechakte
Expressive Sprechakte
Deklarative Sprechakte
3.2 Typisierung illokutionärer Sprechakte nach J. R. Searle
Legende: Orator O, Rezipient R, Handlung H, Proposition P, Ereignis E
Vereinfacht gesagt: Der Orator impliziert die Erfüllung der Einleitungsbedingungen, drückt den durch die Aufrichtigkeitsbedingungen festgelegten Zustand aus und spricht aus, was durch die wesentlichen Bedingungen bestimmt ist.
4. Sprechakt-Regeln
Welche Regeln müssen erfüllt sein, dass ein Sprechakt vom Rezipierenden online so aufgefasst wird, wie er vom Orator intendiert ist?
Searle unterschied dafür zwei Arten von Regeln: Regulative Regeln, die bereits existierende oder unabhängig von ihnen bestehende Verhaltensformen regeln (z.B. das Thema Anstand in zwischenmenschlichen Beziehungen) und konstitutive Regeln, die eine Tätigkeit konstituieren (und damit regeln), deren Vorhandensein von den Regeln logisch abhängig ist.
Wird bei einem Sprechakt durch die Aufrichtigkeitsbedingung ein psychischer Zustand bestimmt, so gilt der Vollzug des Aktes als Zum-Ausdruck-Bringens jenes Zustandes. Umgekehrt bedeutet dies, dass Unaufrichtigkeit nur dann möglich ist, wenn ein Sprechakt als Ausdruck eines psychischen Zustands gilt. So können wir beispielsweise nicht unaufrichtig grüßen oder taufen. (Searle, 1969)
5. Höfliche Implizität: Erfolgreiche Kommunikation ohne explizite Indikatoren
Auch ohne die Verwendung expliziter Indikatoren einer illokutionären Rolle kann ein illokutionärer und damit auch ein perlokutionärer Akt vollzogen werden, solange der Kontext und die Äußerung selbst deutlich machen, dass die wesentlichen Bedingungen erfüllt sind. So gilt ein „Ich will es für dich tun“ genauso als Versprechen, wie ein „Ich verspreche, es für dich zu tun“. Diese Möglichkeit der Implizität ist die Grundlage zahlreicher höflicher Redewendungen. So wird beispielsweise der Satz „Könnten Sie das für mich erledigen?“ trotz des interrogativen (fragenden) Indikators der illokutionären Rolle nicht geäußert, um eine Frage bezüglich der Fähigkeiten des Adressaten zu stellen, sondern um eine höfliche Aufforderung an ihn zu richten.
Und hier liegt der Knackpunkt für die digitale Kommunikation: Warum sollten wir online sämtliche Benimmregeln über Bord werfen und CTA’s wie „Jetzt bestellen!“ formulieren, als wäre der Rezipierende ein kleines Kind, das auf Anweisungen wartet? – Schließlich lässt sich niemand gern sagen, was er zu tun hat. Deshalb nutzen wir die Möglichkeit zur höflichen Implizität und machen aus dem „du musst“ einfach ein „ich will“. Dafür sind nicht länger unangenehme direktive bzw. exerzitive Sprechakte notwendig: Wir lassen den Kontext für uns arbeiten, nutzen repräsentative, kommissive und expressive Sprechhandlungen und belegen konstative Äußerungen durch stichhaltige Argumente.
6. Fazit
Egal ob Austin, Searle, Morris oder Mead, – die Theorie von Sprache als Form des Handelns ist ein komplexes Thema, das Definitionen erfordert, die nicht in jedem Setting leicht aufzufinden bzw. unterzubringen sind. Dennoch halten wir fest: Sprechakte sind situativ wie dimissiv fehleranfällig und an bestimmte Glückensbedingungen gekoppelt. Sie können implizit und explizit performativ gestaltet sein, wobei alle wahren und unwahren Aussagen kognitive („konstative“) Äußerungen sind und damit das Gegenteil eines performativen Sprechakts verkörpern. Wir können also durchaus mit implizit performativen Sprechakten arbeiten, die erst durch den Kontext an persuasiver Kraft gewinnen und die Rezipierenden durch sanfte Autorität zu genau der von uns gewünschten Handlung bewegen. Denn anders als in der analogen Situativik, z.B. im Face-to-Face-Gespräch, können wir den Kontext auf unserer Homepage vom ersten Wort bis zur kleinsten Grafikanimation selbst bestimmen. Die Chancen des Internets für sich zu nutzen bedeutet also auch – oder vorallem – den eigenen Kontext für sich arbeiten zu lassen.
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Quellen und Literaturempfehlungen:
Austin, J. L.: How to do Things with Words. Clarendon Press. (1962)
Mead, G. H.: Mind, Self, and Society. University of Chicago Press. (1934)
Morris, C. W.: Foundations of the Theory of Sign. University of Chicago Press. (1938)
Searle, J. R.: Speech Acts: An Essay in the Philosophy of Language. Cambridge University Press. (1969)
Ulkan, M.: Zur Klassifikation von Sprechakten. Eine grundlagentheoretische Fallstudie. Tübingen. (1992)
Franz, Norman: Die Sprechakttheorie nach Austin und Searle: Äußerungen als Handlung. Diplomica Verlag. (2014)