Geschlechtergerechte Textrhetorik
Verständliches und korrektes Gendern in der Schriftsprache
September 19, 2019
Written by Carina D. Bukenberger
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1. Vorwort
Seit einiger Zeit lesen wir immer häufiger von BäuerInnen, Ärzt*innen und Expert_inn_en. Dass diese schriftsprachlichen Auswüchse einigen alteingesessenen Textschaffenden die Tränen in die Augen treiben, ist kaum verwunderlich: Geschlechtergerechte Sprache ist ungewohnt, unbequem und der besseren Verständlichkeit nur in den seltensten Fällen zuträglich. Einige Zeitungsverlage sträuben sich deshalb mit Händen und Füßen gegen Gender-Stern und Co., – und das, obwohl seit bald 70 Jahren im Grundgesetz steht: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“
In unserer Sprache hat sich in diesen 70 Jahren kaum etwas geändert. Dabei ist eine Anpassung der Schriftsprache einigen Expert:innen zu Folge längst überfällig, nicht zuletzt aufgrund der psycholinguistischen Erkenntnis, dass Sprache unsere Wirklichkeit entscheidend mitformt („Sprache schafft Wirklichkeit„). Inzwischen bestätigen zahlreiche wissenschaftliche Studien, dass das generische Maskulinum (die ausschließliche Verwendung männlicher Formen) die Vorstellung verstärkt, Männer würden unsere Lebenswelt bestimmen. Dies führt wiederum – laut der Berliner Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung – „symbolisch wie faktisch zur Benachteiligung von Frauen“.
Doch wie geht die Regierung mit diesen Ergebnissen um? Seit 2001 existiert das sogenannte Gleichstellungsdurchsetzungsgesetz (DGleiG). Für die Schriftsprache und Textrhetorik ist hier § 1 Absatz 2 besonders interessant: „Rechts- und Verwaltungsvorschriften des Bundes sollen die Gleichstellung von Frauen und Männern auch sprachlich zum Ausdruck bringen. Dies gilt auch für den dienstlichen Schriftverkehr.“ Das DGleiG wurde 2015 durch das Bundesgleichstellungsgesetz (BGleiG) ersetzt, was nichts an der oben genannten Richtlinie änderte, aber auch nichts konkretisierte.
Zurück blieben zwar sprachlich sensibilisierte, aber dennoch oftmals verwirrte Journalistinnen und Journalisten, Schriftstellerinnen und Schriftsteller, die nicht länger wussten, was bezüglich der Geschlechtergerechtigkeit nun richtig, angemessen oder völlig übertrieben ist. Im folgenden Artikel fassen wir für Sie alle aktuellen Informationen zur geschlechtergerechten Sprache zusammen, um gemeinsam die Verbreitung eines nicht-sexistischen Sprachgebrauchs voranzutreiben, ohne die Schönheit der deutschen Schriftsprache zu beeinträchtigen.
2. Die sprachlich explizite Mitnennung von Frauen
Die sicherlich einfachste Lösung zur Mitbenennung von Frauen ist die Doppelnennung, wie auch der Duden in einem Newsletter 2011 bestätigte. Diese Schreibweise sei höflich und insbesondere in der Anrede eine angemessene Lösung. In ausführlichen Texten und Abhandlungen kann die Doppelnennung jedoch den Lesefluss stören und den Text deutlich verlängern, weshalb inzwischen diverse Alternativen kursieren, wie etwa die Mitbenennung durch Sonderzeichen.
Inklusion durch Sonderzeichen: Klammer, Schrägstrich, Unterstrich, Stern und Doppelpunkt
Besondere Bekanntheit unter den Gender-Sonderzeichen erreichte der Genderstern (*), welcher 2018 zum Anglizismus des Jahres gewählt wurde. Seither beschäftigt sich auch der Rat für deutsche Rechtschreibung verstärkt mit dem Thema der inklusiven Sprache, wollte bis dato aber noch keine Empfehlung für korrektes Gendern aussprechen. Man wolle sich insbesondere zum Genderstern nicht konkret äußern, solange sich das Thema noch so stark in Bewegung befände. Bis dahin ist also weiterhin noch alles erlaubt, vom Binnen-I bis zum barrierefreien Gender-Punkt.
Alternativen aus dem Bereich der Binneninterpunktion (Verwendung von Satzzeichen im Wortinneren) sind Gendergap, also die Trennung via Unterstrich (_), Schrägstrich-Trennung und Einklammerung der femininen Form. Jedoch hat insbesondere die Gender-Klammer inzwischen wieder an Beliebtheit eingebüßt, da ihr eine pejorative Wirkung bezüglich des eingeklammerten Geschlechts unterstellt wird.
Seltenere Formen sind die Doppelpunkt-Trennung oder die Trennung mit einem Punkt. Klarer Vorteil dieser Mitbenennungsformen ist die Barrierefreiheit durch verbesserte Lesbarkeit für Screenreader. Screenreader sind Anwendungen, die Bildschirminhalte für blinde und sehbehinderte Menschen in Sprache umwandeln. Gängige Satzzeichen, wie Punkt, Komma und Doppelpunkt, werden von Screenreadern nicht vorgelesen, – seltendere Sonderzeichen, wie Sterne oder Unterstriche, hingegen schon. Wer also verständlich und barrierefrei schreiben möchte, verzichtet lieber auf Experimente mit Sonderzeichen.
Das Binnen-I zur Mitbenennung von Frauen
Das Binnen-I (auch „steiles I“ genannt) geht auf das 1981 veröffentlichte Buch „Was Sie schon immer über Freie Radios wissen wollten, aber nie zu fragen wagten!“ von Christoph Busch zurück. Hier verwendete der Autor erstmals ein Majuskel-I anstelle von Sonderzeichen. Diese Schreibweise wurde rasch von einigen Tageszeitungen wie beispielsweise der TAZ übernommen, jedoch auf freiwilliger Basis. Das führte wiederum dazu, dass Autorinnen das Binnen-I gerne nutzten, während ein Großteil der Autoren lieber darauf verzichtete. Inzwischen gilt das Binnen-I unter Zeitungsautor:innen teilweise als überholt, bürokratisch und unschön. Eine Umfrage unter TAZ-Autor:innen 2009 brachte zutage, dass einige das Binnen-I sogar als Phallus-Symbol im Schriftbild wahrnahmen. Hinzu kommt ein weiteres psycho-linguistisches Faszinosum: Das deutsche Durchschnittsgehirn weiß nichts mit Binnen-Majuskeln anzufangen, liest diese also unbewusst als Minuskeln mit. Einzig eine langfristige Gewöhnung an Binnen-Majuskeln wäre hier eine mögliche Lösung.
Probleme bei der Verwendung von Binneninterpunktion und Binnenmajuskeln zum Zweck der sprachlichen Inklusion
» Umlaute bei femininen Formen:
Ein Bauer und eine Bäuerin, einE BaÄuerIn, ein*e Ba*äuer*in oder ein_e Bauer_äuerin?
Die Verwendung von Binnen-Interpunktion (Zeichensetzung) und Binnen-Majuskeln (Großbuchstaben) empfiehlt sich nicht bei Substantiven, deren weibliche Form einen Umlaut (Ä,Ö,Ü) enthält (wie Jüdin oder Ärztin) und deren männliche Form auf -e endet (wie Hase oder Experte).
› Beispiele zur Mitnennung:
Doppelnennung
– jede Studentin und jeder Student
– Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Klammer
– jede(r) Student(in)
– Mitarbeiter(innen)
Schrägstrich
– jede/r Student/in
– Mitarbeiter/innen
Gender-Gap bzw. Unterstrich
– jede_r Student_in
– Mitarbeiter_innen
Gender-Stern
– jede*r Student*in
– Mitarbeiter*innen
Doppelpunkt
– jede:r Student:in
– Mitarbeiter:innen
Punkt
– jede.r Student.in
– Mitarbeiter.innen
3. Alternative Möglichkeiten des inklusiven Schreibens
Sprachsensibilisierung durch Abwechslung
Dass Binneninterpunktion und -majuskeln den Lesefluss stören, ist offensichtlich. Um die eigene Leserschaft davor zu bewahren, empfehlen einige Journalist:innen und Autor:innen die alternierende (abwechselnde) Verwendung von weiblichen und männlichen Formen. Diese inklusive Schreibweise widerspricht jedoch dem rhetorischen Grundsatz der claritas (lat. Klarheit), da nicht länger ersichtlich ist, wann es sich tatsächlich einmal um einen Menschen eines bestimmten Geschlechts handelt. Zudem können zufällige Zuteilungen unter Umständen Vorurteile befeuern und Texten eine ungewollte Färbung geben.
Gendern via Disclaimer
Eine weitere Variante des gendergerechten Schreibens ist das Einfügen einer Anmerkung zu Beginn eines Textes oder als Fußnote, wie beispielsweise:
„Hier und im Folgenden wird aus Gründen einer verbesserten Lesbarkeit das generische Maskulinum verwendet. Diese ausschließliche Verwendung maskuliner Formen beinhaltet keinerlei Wertung und schließt sämtliche Geschlechter mit ein.
Diese Lösung scheint insbesondere bei komplexen, wissenschaftlichen Abhandlungen die beste Variante zu sein. Jedoch lässt sich ein Gender-Disclaimer nicht überall gut platzieren, weshalb sich auch diese Regel nicht verallgemeinern lässt.
Das generische Maskulinum
Verfechter des generischen Maskulinums beteuern immer wieder: Die Verwendung eines linguistischen Maskulinums bedeute nicht, dass Männer genannt und Frauen mitgenannt werden. Es bedeute viel mehr, dass eine unbestimmte Gruppe oder eine nicht konkrete Person genannt wird, wie beispielsweise in: „Viele Köche verderben den Brei.“ Zwar ist die Gruppe hier durch den Beruf näher definiert, dennoch aber nicht greifbar, abzählbar oder gar namentlich bekannt.
4. Rhetorisch brillant gendern: Geschlechtergerechte Textrhetorik
Wer bis hier hin gelesen hat und immer noch glaubt, es gäbe einen Masterplan für die gendergerechte Sprache, – den müssen wir an dieser Stelle leider enttäuschen. Es gibt jedoch Richtlinien und Prinzipien, die bereits Cicero und Quintilian beim Anfertigen brillanter Reden halfen: aptum, ornatus, perspicuitas, puritas, brevitas. Wir legen also Wert auf Angemessenheit, Formgebung, Klarheit, sprachliche Korrektheit und Kürze. Dies bedeutet für unseren Arbeitsalltag im Web Writing, beim Schreiben von Pressemitteilungen und Lektorieren von wissenschaftlichen Veröffentlichungen häufig einen Spagat zwischen inklusiver Sprache und sprachlicher Effizienz.
Unsere Lösung für Geschlechterinklusion und Spracheffizienz im Web Writing
Wir verwenden geschlechtsneutrale Formen wann immer es möglich ist: Die Kundschaft anstelle der Kunden, die Leserschaft anstelle der Leser, die Geschäftsführung anstelle der Chefs. Dieses Auffinden von alternativen Bezeichungen ist für geübte Texter:innen ein Kinderspiel, welches den allgemeinen Sprachgebrauch bestenfalls bereichert, aber sicherlich nicht „verhunzt“. Dabei sollten wir – ganz im Sinne von aptum und puritas (Angemessenheit und Verständlichkeit) – jedoch Maß halten. Der Inhalt sollte niemals hinter die Sprache treten müssen.
Eine weitere Möglichkeit, die direkte Nennung eines Geschlechts zu umgehen, ist das Partizip: Die Studierenden, die Forschenden, die Lehrenden, die Praktizierenden, – all diese Formulierungen drücken das Ausüben einer Tätigkeit im Partizip Präsens aus. Das Partizip wird gleichsam zur Statusbezeichnung, was manchen gefällt, manchen weniger. Beinahe absurd wird die Verwendung des Partizips beispielsweise, wenn die entsprechende Bezeichnung mit einem tatsächlichen Partizip Präsens verbunden wird: „Die Veranstaltenden freuen sich über die am Eingang wartenden Studierenden.“ Diese Formulierung impliziert eine parallele Ausführung beider Tätigkeiten, weshalb hier für zwei der drei Partizipien eine Alternative zu suchen wäre, wie beispielsweise: „Alle, die an der Planung und Vorbereitung der Veranstaltung beteiligt waren, freuen sich über das zahlreiche Erscheinen der Studierenden.“- In diesem Fall entscheiden wir uns für das substantivierte Partizip „die Studierenden“, welches mittlerweile sogar in der gesprochenen Sprache gebräuchlich ist, und umgehen die beiden anderen durch eine alternative Formulierung.
Nicht nur in Hinblick auf die Suchmaschinenoptimierung ist also eine abwechslungsreiche, einfache Sprache meist der goldene Weg.
5. Fazit
Unsere Sprache ist ein Spiegel unserer Gesellschaft. Sie ist das Instrument, welches gleichzeitig unser Bedürfnis nach sozialem Austausch befriedigt, aber auch zur Machtausübung befähigt. Inzwischen bestätigen zahlreiche Studien, dass das generische Maskulinum tatsächlich negative Folgen für weibliche und diversgeschlechtliche Personen hat: Die sprachliche Überpräsentation des männlichen Geschlechts führt bewiesenermaßen zu einer mentalen Überpräsentation des männlichen Geschlechts. Aus diesem Grund sollte das generische Maskulinum nicht länger den Ansprüchen einer geschlechtergerechten Sprache genügen.
Um sich künftig einer tatsächlich fairen Sprache anzunähern, ist eine gewisse sprachliche Flexibilität notwendig, sowie die Bereitschaft, sich von alten Mustern zu lösen. Das bedeutet für die Textschaffenden eine ebenso große Umgewöhnung, wie für die Leserschaft. Sowohl Textproduktion, wie auch Textrezeption werden durch Gender Speech nicht einfacher. Zudem wird dieses Thema künftig auch im Bereich Corporate Communications eine wichtige Rolle spielen: Welche Mitnennungsmethode passt zum Unternehmen? Wie steht die Zielgruppe zum Thema Gendering und wann wird endlich der „Mitarbeiter gesucht“-Aufdruck von den Dienstfahrzeugen entfernt?
Sicherlich wird die vollendete Ausformung einer wirklich gendergerechten deutschen Sprache noch einige Jahre andauern, in denen wir die unterschiedlichsten Formen der Mitnennung zu lesen bekommen werden. Sprache verändert sich langsam, aber kontinuierlich. Mit jeder Generation werden neue Formulierungen lebendig, während andere als nicht mehr zeitgemäß verabschiedet werden. Wir leben sprachlich in einem permanenten Umgewöhnungsprozess. Dieser Wandel begann in der neuhochdeutschen Sprache im Jahr 1650 und hält bis heute an. Wieso sollte man also eine weitere Veränderung als Rückschritt werten, einen Gewöhnungsprozess verweigern, während unsere heutige Sprache auf eben solchen Veränderungen aufbaut?
„Man liebt nur was man kennt, und man schützt nur was man liebt.“ – Konrad Lorenz
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Quellen und Literaturempfehlungen:
Empfehlungen zur „geschlechtergerechten Schreibung“ – Beschluss des Rats für deutsche Rechtschreibung vom 16. November 2018. (PDF: 422 kB) Rat für deutsche Rechtschreibung, 16. November 2018, abgerufen am 20. September 2019.
Geschlechtergerechte Sprache. Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung. Abteilung Frauen und Gleichstellung, abgerufen am 20. September 2019.
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